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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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recht. Nicht einmal jetzt kann ich an Sex denken, ohne daran zu denken, was er mir angetan hat. Einmal hat er gedacht, die Polizei käme, da hat er die Kinder gepackt und ist mit ihnen nach Kanada geflohen. Sechs Monate lang habe ich meine Kinder nicht gesehen. Als er zurückkam, hatte ich solche Angst, daß er sie mir wieder nehmen würde, daß ich mir alles von ihm gefallen ließ. Bis er dann auf die Kinder losgegangen ist. Das hab ich nicht ausgehalten. Ich hab die Polizei in Machias angerufen, und er ist wieder abgehauen. Ich hab drum gebetet, daß er nie wiederkommen würde. Das ist jetzt acht Jahre her. Ich hoffe, er ist tot.
    Wir hatten eine Beteiligung an einer Heidelbeerplantage. Die hab ich verkauft und mit dem Geld das Motel gekauft. Es hatte seit Anfang der fünfziger Jahre leergestanden – ein unglaublicher Saustall. Ein paar Leute aus dem Ort haben mir geholfen, es herzurichten. Ich hab drei Kinder. Wir kommen einigermaßen zurecht. Die Kinder sind wirklich brav, aber es ist schwer, ganz allein drei Kinder großzuziehen, das können Sie mir glauben.
    Ich liebe meine Kinder, aber als ich vorhin gesagt hab, daß er mein Leben verpfuscht hat, war’s mir ernst. Ich bin heute noch wütend. Man merkt’s mir an, stimmt’s? Ja, ich bin heute noch wütend. Immer, wenn ich andere Familien sehe – sie kommen im Sommer ins Motel, und sie sehen glücklich und zufrieden aus –, krieg ich zuerst ein Riesenmitleid mit mir selbst, aber dann schaue ich noch mal genauer hin – und ich trau diesem Glück nicht mehr.

Julia Strout
    Ja, ich habe Mary Amesbury gekannt. Sie hat vom 4. Dezember bis zum 15. Januar draußen in Flat Point Bar ein Ferienhaus von mir gemietet.
    Die Miete war minimal. Ist das von Bedeutung?
    Ich hab sie das erste Mal am 3. Dezember gesehen, nachmittags, als sie in Everett Shedds Laden kam.
    Ich würde sagen, ja, ich hatte schon in dem Moment den Eindruck, daß irgend etwas nicht stimmte. Sie schien mir in Not zu sein. Sie wirkte krank, unterernährt. Es war an dem Tag außerordentlich kalt. Ja, außerordentlich kalt. Die Leute haben an dem Nachmittag kaum über etwas anderes geredet. Im Wetterbericht hatte es geheißen, daß die Temperatur unter Berücksichtigung des Windabkühlungsfaktors bis auf minus fünfzig runtergehen könnte. Tatsächlich ist das Thermometer bis auf minus dreißig gefallen. Wir sind hier solche niedrigen Temperaturen nicht gewöhnt, wir sind zwar hoch im Norden, aber doch direkt an der Küste.
    Ja, kann sein, daß ich sie gefragt habe, ob es ihr nicht gut geht. Ich kann mich jetzt nicht erinnern.
    Ja, Everett und ich haben über sie gesprochen, nachdem sie gegangen war. Wir vermuteten, sie könnte vor irgend etwas auf der Flucht sein. Ich weiß, daß ich darüber nachdachte, und es ist möglich, daß Everett und ich auch darüber gesprochen haben. Kann sein, daß Everett mich auf den Gedanken gebracht hat, sie könnte Verletzungen haben, aber da bin ich jetzt nicht mehr sicher.
    Mein Mann ist vor Jahren bei einem Unglücksfall auf seinem Boot ums Leben gekommen. Ich möchte darüber eigentlich nicht reden. Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie doch einen Bericht über Mary Amesbury schreiben und nicht über die Leute aus dem Ort.
    Wenn Sie über den Ort schreiben, möchte ich mich lieber nicht an diesem Artikel beteiligen. Ich bin nur hier, um mit Ihnen über Mary zu sprechen, um dafür zu sorgen, daß die Wahrheit ans Licht kommt. Das heißt, die Wahrheit, wie ich sie begreife. Ich kann natürlich nicht behaupten, die ganze Wahrheit zu kennen. Wahrscheinlich kennt sie niemand außer Mary.
    Ja, ich weiß natürlich, daß sie in Wirklichkeit nicht Mary Amesbury hieß. Aber unter diesem Namen haben wir sie hier gekannt, und ich denke, so wird man sie hier in Erinnerung behalten.
    Auch wenn Mary Amesbury jetzt ja wohl nicht mehr lebt.
    Ich hab sie am nächsten Morgen wiedergesehen. Muriel Noyes hat mich angerufen und gefragt, ob eines meiner Ferienhäuser winterfest sei. Eines hab ich, das winterfest ist, drüben in Flat Point Bar.
    Es ging mir nicht darum, etwas zu verdienen. Ich vermiete im Winter normalerweise nicht. Das Haus drüben in Flat Point Bar war von einem Ehepaar für den Winter eingerichtet worden, das vorhatte, sich in St. Hilaire zur Ruhe zu setzen, aber dann ist der Mann gestorben, und die Witwe ist im letzten Sommer nach Boston zurückgegangen. Ich hatte das Häuschen an einen Ingenieur vermietet, der vorübergehend an einem Projekt in

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