Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
durften.
Sie werden mich fragen, hat sich das denn nun gelohnt? Und ich werde antworten, wie kann es sich lohnen, sich aus der Hölle zu befreien, nur um dann die eigene Tochter zu verlieren?
Und ich werde weiter antworten: Ich hatte keine Wahl.
Es war die erste Dezemberwoche. Die Zeitschrift veranstaltete eine Abschiedsfeier für den Chefredakteur, der gekündigt hatte. Ich war seit fast einem Jahr nicht mehr in der Redaktion gewesen. »Meinst du, ich soll da hingehen?« fragte ich Harrold.
Er überlegte einen Moment und meinte dann: »Warum nicht? Da können wir ein bißchen mit unserem schönen Kind prahlen.«
Ich kaufte eigens für die Party ein Kleid, schwarz, hochgeschlossen, bodenlang, und steckte Caroline in ein rotes Samtkleid, das meine Mutter ihr geschickt hatte. Ich steckte mir das Haar mit Straßkämmen hoch, und als ich Caroline auf den Arm nahm und uns beide im Spiegel betrachtete, dachte ich: Man würde es nie ahnen.
Harrold hatte gesagt, ich solle gleich um fünf, zu Beginn der Feier, kommen. Um viertel vor fünf packte ich Caroline in die Tragetasche und fuhr zur Redaktion. Als ich in die neunzehnte Etage hinaufkam, war Harrold gerade dabei, noch etwas fertigzumachen, aber er kam aus seinem Büro heraus und begrüßte mich lächelnd. Lächelnd! Er legte besitzergreifend seinen Arm um meine Schultern und nahm mir Caroline ab. Ehemalige Kollegen gesellten sich zu uns, um mich zu begrüßen. Harrold, Caroline und ich gingen wie von einer leuchtenden Aura umschlossen durch die Redaktion, ich wußte, wie wir wirkten – ein stolzer Ehemann mit strahlender Frau und Tochter. Wir lächelten, lachten, machten unsere Scherze darüber, daß ich drängende Termine gegen dreckige Windeln eingetauscht hatte, und Caroline lachte mit uns. Ich weiß noch, daß ich dachte, nun ja, zum Teil ist es ja auch wahr. Wir hätten dieses Paar sein können.
Es waren sehr viele Menschen da, die meisten kannte ich, einige nicht. Nach einer Weile begaben wir uns alle zur Bar, und da gesellten Sie sich zu uns. Harrold machte uns miteinander bekannt, und Sie gaben mir die Hand. Als erstes fiel mir Ihre Größe auf – Sie sind doch bestimmt einsfünfundsiebzig groß, nicht wahr? – und dann Ihr Kleid. Es war, ich erinnere mich genau, ein khakifarbenes Kleid mit Gürtel, und ich weiß, daß mir der Gedanke durch den Kopf ging, daß man so ein Kleid eigentlich auf einer Safari tragen müßte, in einem Landrover auf der Fahrt durch den afrikanischen Busch. Es stand Ihnen. Sie nahmen Caroline auf den Arm, und Harrold ging, uns etwas zu trinken zu holen.
Heute frage ich mich: Haben Sie etwas gemerkt? Haben Sie es gewußt?
Haben wir uns miteinander unterhalten? Kurz, wahrscheinlich, über das Kind, aber dann gingen Sie, und ein Mann, den ich nicht kannte, trat zu mir, um mich zu begrüßen. Sein Name sei Mark, sagte er. Er war groß und schlank, hatte hellblaue Augen und blondes Haar. Er trug eine Brille mit Goldrand. Ich fand ihn attraktiv. Ein Gespräch entspann sich zwischen uns. Er sagte, er kenne Harrold und bewundere seine Arbeit. Er wisse, daß auch ich für die Zeitschrift gearbeitet hatte. Ich schwamm immer noch auf der Illusion, die Harrold und ich geschaffen hatten, und vielleicht habe ich gerade gelacht – es ist möglich, daß ich in der Lebhaftigkeit des Gesprächs flüchtig Marks Arm berührte – als Harrold mit den Getränken um die Ecke kam. Heiter lächelnd, mit strahlender Miene die Komplimente über seine Tochter entgegennehmend, hatte er sich durch das Gewühl gedrängt, aber als er mich mit Mark zusammen sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Er war hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, aber ich spürte, wie er mich anstarrte. Wider besseres Wissen drehte ich mich herum und wollte ihn herüberrufen.
Er stand wie erstarrt, ein Glas in jeder Hand. Er hatte an diesem Abend einen blauen Blazer an und eine Krawatte mit dunklen Streifen, die am Hals locker saß. Seine Augen, tief und dunkel, fixierten mich. Dann kam er auf mich zu. Mark ignorierte er völlig. Er reichte mir mein Glas und sagte: »Hol die Kleine, ich möchte, daß du die Kleine bei dir behältst.«
Mark schien den Wink zu verstehen und entfernte sich, vielleicht sah er auch irgend jemanden, mit dem er reden wollte. Als er weg war, sagte Harrold zu mir: »Ich brauch dich nur eine Minute allein zu lassen, und schon bist du hinter irgendeinem Kerl her.«
Ich sagte nichts. Ich wußte, daß es keinen Sinn hatte, etwas zu sagen. Mir war
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