Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
klar, was ich zu tun hatte: Ich würde Caroline bei mir behalten und mich nur noch mit Frauen unterhalten, bis Harrold mich nach Hause brachte. Wenn ich Glück hatte, würde er vielleicht vergessen, was er gesehen oder zu sehen geglaubt hatte.
Aber ich hatte kein Glück. Immer wieder kamen auch Männer zu mir und unterhielten sich mit mir, manche küßten mich auch, das war nur natürlich. Ich hatte sie ja alle fast ein Jahr lang nicht gesehen. Sie waren Freunde – manche auch nur Bekannte –, aber Harrold wollte das nicht sehen. Jedesmal, wenn ein Mann zu mir trat, hätte ich am liebsten gesagt, du besiegelst mein Schicksal. Aber das ging natürlich nicht. Ich wartete eine halbe Stunde, dann sagte ich zu Harrold: »Ich fahr jetzt besser nach Hause.« »Ja, tu das«, erwiderte er.
Ich entschuldigte mich, erklärte jedem, der fragte, daß Caroline ins Bett müsse. Ich fuhr nach Hause, zog mich um, stillte Caroline und legte sie in ihrem Zimmer zu Bett. Dann machte ich mir etwas zu trinken. Ich hatte Angst. Ich wußte, daß Harrold wütend war, zu viel trinken würde und in schwärzester Stimmung nach Hause kommen würde. Ich machte mir noch einen Drink und dachte: Was zum Teufel soll ich jetzt tun?
Er kam nach Mitternacht. Stolpernd, betrunken. Sein Gesicht war teigig, ich vermutete, er hätte sich übergeben. Er war ohne Krawatte, und sein Hemd war zerknittert. Da war mir klar, daß er mit einer anderen Frau zusammen gewesen war. Ich wandte mich ab. Ich hatte Angst und war gleichzeitig voller Wut. Ich ging durch den Flur zum Schlafzimmer und machte die Tür zu.
Ich wartete.
Er brach durch die Tür ins Zimmer wie ein gewaltiger Unhold aus einem bösen Kindertraum. »Untersteh dich, mir noch einmal die Tür vor der Nase zuzuschlagen!« brüllte er.
Das sind die einzigen Worte, an die ich mich erinnere.
Er schleuderte mich an die Wand. Ich hob die Hände, um mein Gesicht zu schützen. Vielleicht habe ich auch geschrien, und ich hörte, wie Caroline in ihrem Bett zu weinen begann. Ich wünschte flehentlich, sie würde aufhören, weil ich Angst hatte, er würde ihr etwas antun. Ich schrie nicht noch einmal. Ich versuchte, ihn mit meinen Händen abzuwehren, aber er schlug sie weg wie ein paar Mücken.
Er war wie eine Maschine, die alles niedermähte, was ihr in den Weg kam. Er raste wie nie zuvor. Es schien ihm völlig egal zu sein, wohin er mich schlug, daß die Male sichtbar sein würden. Instinktiv gab ich allen Widerstand auf. Ich konnte mich nicht gegen ihn wehren, aber ich wußte, daß ich versuchen mußte, bei Bewußtsein zu bleiben, wenn das möglich war. Mit beiden Händen schlug er auf mich ein, bis er stolperte, mich verfehlte, und seine Hand krachend gegen die Wand schlug. Fluchend umfaßte er die schmerzende Hand, und ich tauchte unter ihm weg. Ich rannte in Carolines Zimmer, riß sie aus ihrem Kinderbett und sperrte uns dann beide im Badezimmer ein.
Er kam uns nach, rüttelte einmal am Knauf, als wollte er ihn aus der Tür reißen. Ich rührte mich nicht. Ich wartete. Ich hockte mich auf den gefliesten Boden und versuchte, meine Bluse zu öffnen, um Caroline zu stillen. Ich wollte sie ruhig halten. In meinen Armen schlief sie wieder ein.
Ich weiß nicht, wie lange ich im Badezimmer saß, aber ich hörte ihn nicht wieder. Ich wußte nicht, ob er weggegangen war oder eingeschlafen oder in seinem Rausch draußen im Flur umgekippt war. Oder ob er vielleicht in einem Sessel saß und nur darauf wartete, daß ich die Tür öffnen würde.
Stundenlang, wie mir schien, hockte ich mit gekreuzten Beinen auf dem kalten Boden. Als ich mich schließlich aufrichtete, durchschoß ein stechender Schmerz mein Knie, aber ich wußte, daß ich aufstehen mußte. Ich öffnete die Tür und konnte ihn nicht sehen. Vorsichtig humpelte ich in den Flur hinaus. Er war nicht da. Ich ging in Carolines Zimmer und legte sie in ihr Bett. Dann schlich ich zum Schlafzimmer und warf einen Blick auf das Bett. Dort lag er halb ausgezogen. Das Hemd hatte er noch an, Hose und Blazer lagen auf dem Boden. Er lag auf dem Bauch und schnarchte, besinnungslos vom Alkohol.
Nie in meinem Leben war ich so leise, so vorsichtig, so flink. Ich holte meine Reisetasche aus dem Schrank, warf ein paar Dinge hinein, ging in Carolines Zimmer, packte ihre Sachen. Dann ging ich noch einmal ins Schlafzimmer zurück, zog Harrolds Brieftasche aus seiner Hosentasche und nahm alles Bargeld an mich. Ich nahm mir nicht einmal die Zeit, es zu zählen. Ich zog
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