Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
war praktisch die einzige Besucherin, und ich weiß, daß sie sich auf diese Besuche freute.
Nach einer Weile machte ich es mir zur Gewohnheit, ab und zu auf eine Tasse Tee zu Julia Strout zu gehen. Ja, ich war manchmal einsam – auch wenn ich mein Alleinsein genoß – ein merkwürdiges Paradox –, und eben dieses Gefühl der Einsamkeit nach einer langen Reihe grauer Tage in der zweiten Woche trieb mich, Julia einen Besuch zu machen. Ich war gerade aus Everett Shedds Laden gekommen, und mein Blick fiel auf Julias Haus, drüben, auf der anderen Seite des Parks. Ich könnte doch einfach unter einem Vorwand mal bei ihr vorbeigehen, dachte ich. Ich könnte ja sagen, daß der Wasserhahn tropft oder daß ich noch ein paar Wolldecken brauche. Aber als ich dann mit Caroline auf dem Arm die Treppe zur Veranda hinaufstieg und klopfte, vergaß ich alle Vorwände und sagte, als sie mir öffnete, flüchtiges Erstaunen in den Augen, aber unbewegten Gesichts, ich wäre nur vorbeigekommen, um guten Tag zu sagen.
Ich war vorher noch nie in ihrem Haus gewesen, dachte es mir mit Möbeln vollgestopft, wenn auch gemütlich, überall Krimskrams und Häkeldeckchen. Hatte ich diese Vorstellungen deshalb, weil sie einer anderen Generation angehörte als ich? Wie dem auch sei, das Haus war überhaupt nicht überladen, im Gegenteil, überraschend sparsam und dennoch einladend eingerichtet. Die Böden waren aus glänzendem dunklem Holz, das sie, wie sie mir später gestand, auf allen vieren liegend zu polieren pflegte. Sie habe ein festes Ritual, sagte sie, stehe jeden Morgen um sechs auf, um die ersten zwei Stunden alles sauberzumachen und dann den Rest des Tages nicht mehr an Hausarbeit denken zu müssen. Ihre Küche war groß, mit einer weißen Holztäfelung an den Wänden und einem graugrünen Schieferboden. Sie bat mich herein und sagte, sie würde uns eine Tasse Tee machen. Die Küche hatte einen offenen Kamin, und in der Mitte stand ein großer runder Eichentisch.
Julia trug an diesem Nachmittag das Gleiche wie immer, eine robuste Kordhose und einen Pullover. Ich glaube, ich habe sie in der ganzen Zeit, da ich sie kannte, nicht einmal in einem Rock gesehen. Sie hatte kräftige, muskulöse Hände und Unterarme, das fiel mir auf, als sie den Kessel zum Herd trug. Ich erinnere mich außerdem, daß sie viele Bücher in der Küche hatte – keine Kochbücher, sondern Romane, Biographien und geschichtliche Werke. Ich hatte den Eindruck, daß sich ihr ganzes Leben in diesem einen Raum abspielte, zumindest im Winter.
Ich setzte Caroline auf den Boden und ließ sie herumkrabbeln, ohne sie und den Kamin einen Moment aus dem Auge zu lassen. Julia stellte das Gitter vor den Kamin, und einmal stand sie auf und trug Caroline, die zu nahe ans Feuer herangerobbt war, wieder auf die andere Seite des Raums hinüber.
»Und, haben Sie sich schon eingewöhnt?« fragte Julia, während sie zwei Becher aus dem Schrank nahm.
»Ja«, antwortete ich. »Es ist ein wunderbares Haus. So friedlich.«
»Wissen Sie schon, wie lange Sie bleiben wollen?«
Es war nur eine beiläufige Frage – ich glaube nicht, daß es sie wirklich interessierte –, aber sie überraschte mich. Ich muß wohl gezögert haben, oder sie sah einen Schatten der Beunruhigung in meinem Gesicht, jedenfalls fügte sie hastig hinzu: »Sie können bleiben, solange Sie wollen. Es hat sich niemand anderer angemeldet.«
»Oh, gut«, sagte ich.
»Milch oder Kognak?« fragte sie.
»Bitte?«
»An so einem kalten Nachmittag ist mir Kognak lieber«, sagte sie, »aber Sie können auch Milch haben.«
»Kognak«, sagte ich.
Sie goß einen kräftigen Schuß in jeden der beiden Becher. Vielleicht war sie doch nicht so eine vernünftige Person, wie ich geglaubt hatte.
Mit den dampfenden Bechern kam sie an den Tisch. Ich probierte. Der Alkohol war stark, ich spürte, wie er mir in den Magen rann und seine Wärme sich ausbreitete.
Sie setzte sich mir gegenüber.
»Haben Sie vor, sich Arbeit zu suchen?« fragte sie.
Die Antwort auf diese Frage wußte ich selbst nicht. Ich sah zu Caroline hinunter.
»Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete ich. »Früher oder später wird mir wahrscheinlich nichts anderes übrigbleiben. Aber hier scheint’s nicht viel Arbeit zu geben. Ich weiß nicht recht, was ich tun soll.«
»Aber Sie haben etwas Geld«, sagte sie vorsichtig.
»Ja.«
»Und wenn das verbraucht ist …?«
»Ja.«
»Ich verstehe.« Sie drehte sich auf ihrem Stuhl herum. »Ich persönlich
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