Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Freitag aus dem Wasser holen, wenn das Wetter es zuließe, und dann mit den Reparaturen an der Ausrüstung anfangen. Im Februar mache er mit seiner Frau und seiner Tochter immer eine kleine Reise, fügte er hinzu, einen kleinen Urlaub. Er wußte noch nicht genau, wohin sie dieses Jahr fahren würden. Er selbst wollte gern nach Boston, um seinen Sohn zu besuchen, der dort studierte, aber seine Tochter plädierte heftig für wärmere Regionen. Er sprach schneller als sonst, es klang beinahe gehetzt, und ich machte es nicht anders. Und es war, als wüßten wir, daß wir das, was wir einander sagen wollten, besser jetzt sagten, da noch Zeit war. Ich fragte mich, ob ich auch in den kommenden Tagen, wenn er nicht mehr zu mir kommen würde, jeden Morgen vor Tagesanbruch erwachen würde.
Die Sonne ging über dem Horizont auf, und ich dachte, wie verrückt, daß wir den Tagesbeginn fürchten müssen als wären wir Geschöpfe der Nacht, die im Licht zu Staub zerfallen. Ich stand auf und ging zur Tür und wartete dort auf ihn. Ich haßte diesen Moment, wenn er gehen mußte. Ich sah zu, wie er aufstand, in seine Gummistiefel schlüpfte und seinen gelben Ölmantel überzog.
»Vielleicht laß ich dich einfach nicht zur Tür hinaus«, sagte ich scherzend und umfaßte ihn unter dem Ölmantel mit beiden Armen. »Vielleicht behalte ich dich einfach den ganzen Tag hier.«
Er drückte sein Gesicht in mein Haar. Er legte die Arme um mich und schob das Nachthemd hoch, um meine Haut fühlen zu können.
»Ich wollte, du tätest es«, sagte er.
Am nächsten Morgen – es war Mittwoch – kam Jack nicht. Ich erwachte wie immer kurz vor Tagesanbruch und wartete, aber im Haus blieb alles still, keine Schritte auf der Treppe. Hellwach lag ich im Bett und horchte angestrengt nach draußen, wartete auf das Rattern seines Wagens unten auf der kleinen Straße, aber ich hörte nichts als die ersten Schreie der Möwen, das Plätschern der Wellen auf dem Kies. Ich sah zu, wie es langsam hell wurde, die Morgendämmerung den Himmel färbte. Als die Sonne aufging, wußte ich, daß er nicht kommen würde. Zum erstenmal seit dem Nebel blieb er aus, und ich empfand eine tiefe Leere. Es war, als hätte der Tag alle Farbe verloren.
Caroline erwachte kurz nach Sonnenaufgang. Sie schien, genau wie der Arzt vorausgesagt hatte, wieder ganz gesund zu sein, aber ich gab ihr vorschriftsmäßig weiter das Antibiotikum. Nachdem ich sie gestillt hatte, legte ich sie auf den Teppich im Wohnzimmer und sah zum Fenster hinaus zum Ende der Landzunge. Das grün-weiße Boot schaukelte auf dem Wasser, als wollte es mich verspotten. Nach und nach trudelten die Pick-ups ein und parkten beim Fischhaus. Männer stiegen aus, aber Jack war nicht unter ihnen. Ich suchte nach Gründen für sein Ausbleiben.
Vielleicht war bei ihm zu Hause etwas passiert. Vielleicht hatte Rebecca eine Szene gemacht. Möglich, daß Jack ihr doch alles gesagt hatte. Oder aber er hatte beschlossen, die Beziehung zu mir abzubrechen – zuzutrauen wäre es ihm. Ja, das war es. Als er sich gestern von mir verabschiedet hatte, hatte er gewußt, daß es ein Abschied für immer sein würde, deswegen hatte er mich so fest gehalten. Er hatte mir Lebwohl gesagt, nur hatte ich es nicht gewußt.
Ich versuchte, mich mit dieser Möglichkeit auseinanderzusetzen, sie ernstzunehmen und zu akzeptieren. Aber ich konnte es nicht. Ziellos, mit leeren Händen ging ich im Haus hin und her, während Caroline im Wohnzimmer spielte. Ich konnte nicht stillsitzen. Wollte er mir sagen, ich solle jetzt gehen? Diesen Ort verlassen und mir einen anderen suchen?
Aber ich konnte nicht gehen. Ich hatte nicht den Willen dazu. Und ich konnte nicht gehen, ohne vorher mit Jack gesprochen zu haben. Ich mußte wissen, ob er wirklich nie wieder kommen wollte.
Ich zog mir etwas an und machte dann Caroline fertig. Am liebsten wäre ich ins Dorf gefahren, direkt zu seinem Haus, und hätte ihn gefragt, warum er nicht gekommen war, aber das konnte ich natürlich nicht tun. Unten beim Fischhaus konnte ich die Männer reden hören. Ich wäre gern hinunter gegangen und hätte nach Jack gefragt – zum Teufel mit Willis –, aber mir war klar, daß auch das ein absurder Gedanke war. Statt dessen packte ich Caroline in das Tragetuch und ging los, um einen Spaziergang zu machen. Ein bißchen frische Luft würde ihr sicher nicht schaden, wenn sie warm genug angezogen war.
Die Luft war trocken und prickelnd wie eisgekühlter Champagner. Ganz sicher
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