Gefesselte Lust
offiziell wegen eines Sonderprojekts unterwegs. Du kannst dich in meiner Wohnung frei bewegen.
Bis später, J.
Ein wenig verwirrt nehme ich den Zettel von der Tür und lese ihn noch einmal durch. Bei der Anrede muss ich immer wieder lächeln, zwinge mich aber dazu, es zu lassen. Schön hin oder her, hier geht es um ein Projekt, nicht um eine anstehende Liebelei. Zumindest muss ich mir aber keine Sorgen machen, dass ich in einem aufreizenden Sommerfummel in die Redaktion muss. Ich hoffe nur, dass Aliyah keinen Verdacht schöpft und am Ende noch darauf kommt, dass es sich bei meiner Affäre um Jonah handelt. Ich bin gerade mal wenige Monate im Dienst und gehe schon mit dem Chef ins Bett – wenn das mal kein Büroskandal ist!
Stattdessen mache ich mich auf die Suche nach dem Badezimmer, um mich frisch zu machen. Die letzte Nacht sitzt mir in den Knochen, aber ich verbiete mir noch, an die vergangenen Ereignisse zu denken. Selbst diese Erinnerungen erscheinen mir unendlich kostbar und ich will den Gedanken daran genießen.
Das Bad zu finden erweist sich als wesentlich einfacher gesagt, als getan. Ich komme am Bondage-Raum vorbei, dann am Schlafzimmer und finde mich kurz darauf vor einer unscheinbaren Tür wieder, von der ich vermute, dass es sich dabei um das Badezimmer handelt. Als ich die Tür öffne, finde ich mich jedoch in einer Mischung aus Abstell- und Ankleidezimmer wieder. Einige Kisten stehen an der Wand, und auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich mehrere Garderobenstangen. Auf den meisten davon hängen Anzüge; keiner davon wirkt billig oder unpassend. Ich fahre mit den Fingerspitzen über die Sakkos; sie fühlen sich angenehm und leicht an.
Natürlich, als würde Jonah Winter sich mit billiger Stangenware zufriedengeben, schießt es mir durch den Kopf.
Die Wände hier sind, anders als im Rest der Wohnung, gestrichen – mich lacht ein freundliches, sonniges Gelb an. Einige gerahmte Fotos hängen an den Wänden, und auf einer Pinnwand stapeln sich aufgespießte Notizzettel, Erinnerungen, Bonuskarten und anderes alltägliches Zeug.
Es ist seltsam, aber auf eine verschrobene Weise sieht dieser Raum viel mehr nach ›Jonah‹ aus als die ganze restliche Wohnung.
Ich betrachte die Fotos und die Pinnwand. Auf den Bildern ist häufig eine junge Frau zu sehen, manchmal mit, meist aber ohne Jonah. Sie lacht, wobei sich in ihren Wangen kleine Grübchen bilden. Das Haar fällt ihr in vorwitzigen dunklen Locken ins Gesicht. Zarte Sommersprossen bevölkern ihre Nase, und ihre grünen Augen scheinen zu blitzen. Eine Schönheit, wenn auch viel weniger weltgewandt, als ich es Jonah zugetraut habe. Mich durchfährt wieder ein Stich – diese Frau hat ihm viel bedeutet, sonst hätte er dieses Zimmer nicht mit ihren Bildern volltapeziert.
Die Zettel auf der Pinnwand untermauern meine Theorie. Ich finde Notizen und kleine Nachrichten, die sich wohl an Jonah gerichtet haben. Alle sind unterschrieben mit ›Liebe dich, Ina‹.
Ob es sich dabei um die mysteriöse Verlobte handelt, von der Aliyah mir erzählt hat? Warum aber hat sie ihn verlassen? Weil er wirklich so ein Egoist ist, wie Marcus gesagt hat? Ich ärgere mich, dass ich Marcus nicht eingehender nach Jonahs Vergangenheit befragt habe, aber jetzt ist es dafür wohl zu spät. Ich habe mich auf diesen Mann eingelassen, wenn auch nur für kurze Zeit und mit einem bestimmten Ziel. Danach wird alles vorbei sein. Wahrscheinlich werde ich dann wirklich zu einem gesichtslosen Mitglied in seinem Team werden, eine weitere Frau, die er gehabt und seiner Sammlung einverleibt hat.
Meine Belohnung wird der Weg dahin sein. Die Zeit, die wir gemeinsam verbringen werden und in der ich hoffe, die Frau wiederzuentdecken, die er mir am Abend zuvor im Spiegel gezeigt hat. Zumindest das wird mir bleiben. Der Gedanke ist nur ein schwacher Trost, und mein Herz protestiert laut, aber ich kann es nicht ändern. Das ist alles, was ich mir erhoffen kann, und ich werde es genießen, solange es dauert.
Die Haustür fällt ins Schloss, und ich schlüpfe rasch aus dem Zimmer. Direkt daneben finde ich endlich das Bad und husche hinein, ehe Jonah mich entdeckt. Er hat mir zwar gesagt, dass ich mich in der Wohnung frei bewegen kann, aber ich stelle es mir trotzdem mehr als unangenehm vor, wenn er mich plötzlich im Zimmer mit den Fotos seiner Verlobten wiederfindet.
Das Bad ist wieder so modern eingerichtet wie der Rest der Wohnung auch. Die Duschkabine ist voll verglast und besitzt
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