Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
über das Teenageralter hinaus war und auf einer Rollbahre neben den Aufzügen stand, so als hätte man einen Einkaufswagendort abgestellt. Der weiße Plastiksack, in dem sie steckte, war bis zum Hals offen, ihr blasses Gesicht mit dem blonden Haarschopf sah daraus hervor wie aus einem Kokon. Sie hatte schönes, zwischen Safran und Gold changierendes Haar; noch ein paar Stunden zuvor hatte sie es vielleicht in jener Mischung aus Stolz und Selbstzweifel, wie sie einem bei hübschen Frauen oft begegnet, hingebungsvoll gebürstet.
    »Möchten Sie Kaffee oder Tee?« Weisman schien in dem engen Büro überall zugleich zu sein. Er sprang zu einer Tür auf der gebenüberliegenden Seite hinüber, zog hier eine Schublade auf, suchte dort eine Akte auf dem Schreibtisch. »Wir haben auch einen Cola-Automaten im Kantinenraum. Oder lieber Limonade, Sprudel?«
    Cardinal und Delorme lehnten dankend ab.
    Weisman fing sein Handy auf, bevor es ihm ganz entglitt. »Ich rufe nur eben an, ob unsere Pathologin bereit ist. Der Patient ist vor zwanzig Minuten eingetroffen.«
    Cardinal hatte vergessen, dass man hier von Patienten sprach, so als ob die stummen Gestalten in den Plastiksäcken und Kühlfächern wieder genesen könnten.
    Es klopfte an der Tür, dann trat die Pathologin ein. Sie war eine hochgewachsene Frau in den Dreißigern mit breiten Schultern und vorstehenden Wangenknochen; ihr Gesicht wirkte wie gemeißelt.
    »Frau Dr. Gant, das sind Detective Cardinal und Detective Delorme von der Kripo aus Algonquin Bay. Meine Kollegin ist heute Morgen die diensthabende Pathologin. Sie wird Sie jetzt begleiten, wenn es Ihnen recht ist.«
    Sie gingen mit ihr den Flur hinunter. Die junge Tote war fortgebracht worden, und der Linoleumboden und die gekachelten Wände hätten nun zu einer ganz normalen Klinik gehören können. In der Leichenhalle erinnerte nichts an Tod und Verwesung, nur ein schwacher chemischer Geruch hing in der Luft. Sie durchquerten den großen Autopsiesaal und betraten einen Nebenraum,der den »Stinkern« vorbehalten war. Die Pathologin reichte beiden Atemschutzmasken, die sie auch sogleich anlegten. Als der Fotograf bereit war, zog die Pathologin die Gummihandschuhe an und öffnete den Plastiksack. Delorme würgte es bei dem Anblick.
    »Sieht schmutzig aus«, stellte die Medizinerin ruhig fest. »Wo haben Sie ihn gefunden, in einem Kohlenkeller?«
    »Ganz genau. In einem Kohlenvorratsraum in einem alten, vom Notar versiegelten Haus. Ich nehme an, dass er nun langsam auftaut.«
    »Gut. Dann röntgen wir ihn erst mal. Das Röntgen ist nebenan.«
    Sie lehnte die unprofessionelle Hilfe der beiden ab und schob selbst die Rollbahre mit dem »Patienten« bis zur Röntgenabteilung, wo eine Maschine mit einer großen U-förmigen Vorrichtung aus Stahl bereitstand. Der Röntgenapparat wurde von einem schlampig wirkenden Mann in kariertem Hemd und Blue Jeans bedient. Jedes Mal, wenn er sich bückte, sah man den Ansatz der Gesäßspalte aus der Hose lugen.
    »Dieser Stoffsack. War der so über seinen Kopf gezogen?«
    »Es ist ein Kissenbezug, Frau Doktor. Ich bin mir nicht sicher, warum der Mörder den Kopf seines Opfers so verhüllt hat. Reue kommt wohl kaum in Betracht. Und für zimperlich halte ich ihn auch nicht gerade.«
    »Wir sollten jemanden vom chemischen Labor holen, ehe wir zu viel an der Leiche herumhantieren. Brian, wir machen zuerst eine Thoraxaufnahme.«
    Sie sprach ruhig über eine Wechselsprechanlage. Ihre Stimme war kollegial, aber fest; ein Mitarbeiter hätte schon völlig überlastet oder sehr dumm sein müssen, um einer solchen Aufforderung nicht zu folgen.
    »Nehmen Sie die Plastikhülle nicht vorher ab?«, wollte Delorme wissen.
    Die Pathologin schüttelte den Kopf. »Wir röntgen alle Patientenbekleidet. So erfassen wir jede Kugel oder jedes Klingenbruchstück, das in der Kleidung stecken könnte.« Sie deutete auf den Tisch. »Hosen, die bis zu den Knöcheln heruntergezogen sind, können ein Hinweis auf mögliche sexuelle Handlungen kurz vor der Gewaltanwendung sein.«
    Der Röntgenassistent brachte den Aufnahmeapparat in Stellung und schloss die Tür. Dann betätigte er einen Hebel, und ein leises Sirren wie von Mücken erfüllte den Raum. Auf dem Leuchtschirm erschienen die Fußknochen des Toten. Der Röntgenstrahl wanderte den Körper aufwärts, doch Dr. Gant blieb stumm, bis der Brustkorb auf dem Schirm zu sehen war. »Da sind schwere Verletzungen zu erkennen: Fraktur der siebten, fünften und dritten

Weitere Kostenlose Bücher