Gefuehlschaos inklusive
mich daran. Ich habe das Gefühl, beobachtet zu werden. Als ich zur Seite blicke, sehe ich Oliver. Neben ihm sein graues Mäuschen. Wie vom Donner gerührt bleibe ich stehen. Ich spüre sofort, dass diese Situation mehr als unangenehm ist. Wahrscheinlich muss ich ihm jetzt meinen Chef vorstellen und er mir seine graue Maus. Himmel, warum komme immer ich in solch missliche Lagen?
Olivers strahlend blaue Augen sehen mich aufgewühlt an, als er vor mir steht. „Claudia, ich habe versucht, dich zu erreichen. Es gibt so viel, was ich dir sagen möchte. Bitte gib mir eine Chance, dir einiges zu erklären.“
Seine mir feindlich gesinnte graue Maus steht nun ebenfalls bei uns und verhindert so, dass ich etwas auf Olivers Worte erwidern kann. Sie ist mit Recht eifersüchtig auf mich. Schließlich macht Oliver keinen Hehl aus seinen Gefühlen. Er sieht mich an wie ein verliebter Gockel. Das wird ihr sicher nicht entgangen sein. Überraschend steht nun auch noch mein Chef neben mir. So, jetzt sind wir vollzählig und die ganze Situation ist an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. Muss ich jetzt was sagen? Möglichweise ja. Aber lieber würde ich mich in ein Gas verwandeln und unauffällig davonschweben.
Oliver reckt sich zu seiner vollen Größe und scheint in Herrn Ruhland einen Konkurrenten zu erkennen. Daher versuche ich, die Situation zu entschärfen, indem ich Oliver und meinen Chef miteinander bekannt mache. Die graue Maus kommt schlecht bei der ganzen Sache weg, denn Oliver kommt nicht auf die Idee, das Gleiche mit ihr zu tun. Somit weiß niemand, wer sie ist, nur sie weiß, wer ich bin: nämlich die Verrückte, die in ihren Augen absichtlich einen Zusammenstoß mit ihrem Freund im „Conrad“ provozierte. Die beiden Männer reichen sich die Hände und mustern sich argwöhnisch wie zwei Ringer kurz vor ihrem Kampf. So, das muss reichen! Ich werde mich und meinen Chef jetzt auf der Stelle aus der Gefahrenzone bringen, bevor noch ein Unglück passiert.
„Entschuldigt bitte, aber wir müssen jetzt unsere Plätze einnehmen. Kommen Sie, Herr Ruhland!“ Ich drücke ihn voran und sehe mich noch einmal nach Oliver um, für den Fall, dass er uns folgt. Aber er sieht uns nur fragend nach und macht keine Anstalten, uns aufzuhalten. Das wäre erledigt. Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, Oliver nie wieder zu begegnen. Erstens hat er eine Freundin und zweitens bringt er jedes Mal, wenn er auftaucht, Chaos in mein wohlgeordnetes Leben, das natürlich zurzeit alles andere als wohlgeordnet ist − aber egal.
„Wer war das?“, fragt Herr Ruhland irritiert und dreht sich noch zwei weitere Male nach Oliver um. Muss das sein? Das ist peinlich.
„Ach, niemand“, antworte ich“, und schweige sofort wieder. Mir ist natürlich klar, dass Herr Ruhland sich mit meiner Antwort nicht zufriedengeben wird. „Niemand“ würde ja bedeuten, er hätte einem Geist die Hand gegeben. Ich hoffe, dass er nicht nachbohrt.
Nach der Theateraufführung fährt Herr Ruland mich nach Hause, besser gesagt zu Sandras Wohnung. Wie das Theaterstück war, kann ich nicht so genau sagen, ich war während der Vorstellung eigentlich nur damit beschäftigt, nach Oliver Ausschau zu halten. Allerdings habe ich ihn nirgends ausfindig machen können. Ob er vielleicht gegangen ist? Herr Ruhland stellte keine Fragen mehr über Oliver. Ich bin ihm sehr dankbar für seine taktvolle Zurückhaltung.
Vor der Haustür bringt er den Wagen in zweiter Spur zum Stehen. Die Straßen sind um diese Zeit wie leergefegt. Er stellt den Motor aus und wendet sich mir zu.
„Der Abend war sehr schön“, sagt er und sieht mich so seltsam an. Was hat dieser Blick zu bedeuten? Wahrscheinlich sollte ich jetzt antworten, dass auch mir der Abend sehr gut gefallen hat, aber ich bleibe stumm. Er lächelt und streichelt plötzlich mein Gesicht. Bin ich auch in das richtige Auto eingestiegen? Unmöglich, dass Herr Ruhland so etwas tut. Ich sterbe, wenn er nicht auf der Stelle damit aufhört. Es fühlt sich schön an, aber das sollte es nicht. Er ist mein Chef und ein Chef streichelt nicht einfach die Wange seiner Mitarbeiterin. Und ich habe das nicht schön zu finden, sondern es sollte mich stören. Das ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz! Nur dass diese Verabredung zwischen uns außerhalb des Büros stattfindet, seine Handlung somit also nicht mehr als sexueller Übergriff zu werten ist, sondern als freundschaftliche Geste. Und was ist gegen eine freundschaftliche Geste
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