Gefuehlschaos inklusive
gleichgültigen Ton. Es macht mich wütend, dass er plötzlich so dasteht, als wäre er ganz unbeteiligt. Eben noch poltert er hier rum wie ein Elefant und jetzt tut er so entspannt wie ein Pferd auf der Weide. „Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst“, erwidere ich begriffsstutzig.
„Na, wenn du darauf nicht selber kommst.“
„Du willst mir doch wohl nicht im Ernst meine heutige Verspätung vorwerfen?“
Resigniert schüttelt er mit dem Kopf und fährt sich mit der Hand übers Gesicht.
„Claudia, glaubst du etwa wirklich, deine heutige Unpünktlichkeit hätte mich geärgert?“ Erstaunt über seine Worte lasse ich mich auf meinen Bürostuhl zurückfallen. Der Kugelschreiber hängt immer noch in meinem Haar. Ich habe den Versuch aufgegeben, ihn zu entfernen. Er hat sich festgebissen. „Das Einzige, was mir die Zornesröte ins Gesicht treibt, ist diese Heimlichtuerei. Warum bist du gestern an meinem Büro vorbeigeschlichen, ohne ein Wort zu sagen? Und wenn du dich morgens, aus welchen Gründen auch immer, verspätest, dann könntest du mich einfach anrufen und dich nicht still und leise in dein Zimmer schleichen. Du hast immer mein volles Vertrauen genossen. Aus welchen Gründen setzt du das alles aufs Spiel?“
Er ist nur deswegen sauer und nicht, weil ich ihm einen Korb gegeben habe? Aber das ergibt keinen Sinn! Ich habe ihn zurückgewiesen, seine Gefühle verletzt und er ist nur missgestimmt, weil ich mit ihm nicht über meine Verspätung gesprochen habe? Könnte es sein, dass ihm unser Rendezvous und dieser Kuss nichts bedeutet haben? Diese Erkenntnis versetzt mir zu meinem eigenen Erstaunen einen Stich. Ich kratze mich nachdenklich am Kopf und werde dabei wieder an den Kugelschreiber erinnert, der sich partout nicht aus meinem Haar entfernen lässt. Ich rupfe wieder ein wenig daran herum und stelle fest, dass Christians Miene sich verfinstert.
„So wie es aussieht, scheinst du zu beschäftigt zu sein, um mit mir ein vernünftiges Gespräch zu führen. Sag mir doch einfach Bescheid, wann es dir besser passt.“
Er kehrt mir den Rücken zu und verlässt den Raum. Gern würde ich meine aufkochende Wut in irgendeiner Form ableiten und zum Beispiel die Tür aus den Angeln heben. Möglicherweise reicht es aber auch, wenn ich einfach nur mal die Akten durch den Raum werfe. Ich entscheide mich, wie ein Wirbelwind aus meinem Büro zu stürmen und Christian hinterherzuflitzen. Der Kugelschreiber in meinem Haar weht wie eine Fahne im Wind. Wahrscheinlich sehe ich aus, als wäre ich gerade aus dem Irrenhaus entlaufen. Verblüfft schauen mir einige Kollegen nach, als hätten sie noch nie eine wild gewordene Furie mit einem Kugelschreiber im Haar gesehen. Christian erreicht sein Büro und knallt die Tür laut vernehmbar zu. Unbeeindruckt setze ich meinen Weg zu ihm fort. Ich drücke die Tür auf und trete kurz nach ihm ins Zimmer. In derselben Lautstärke wie Christian zuvor werfe ich sie ins Schloss. Wir stehen uns gegenüber wie zwei Duellanten kurz vorm Schuss. Schwungvoll stemme ich meine Hände in die Hüften und will wütend lospoltern, doch ich verschlucke mich und muss husten. Der Reiz im Hals nimmt kein Ende. Könnte sein, dass ich gleich meine Gedärme heraushuste. Ich laufe krebsrot an und schaffe es kaum, Luft zu holen. Ich werde sterben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Christian steht auf einmal neben mir und führt mich zu einem Stuhl, während er pausenlos auf meinem Rücken herumklopft. Endlich lässt der Hustenreiz nach und erschöpft sacke ich auf dem Stuhl zusammen. War eben noch was? Warum bin ich hier?
„Na, geht’s wieder?“, fragt er mit besorgter Miene.
Ich nicke. Keine Ahnung, warum ich das mache, denn jetzt geht nichts mehr.
„Vielleicht versuchst du es noch mal ganz in Ruhe, ohne Wut im Bauch.“
Warum habe ich mich eben eigentlich so aufgeregt? Weil Christians Verärgerung nichts mit meiner Zurückweisung zu tun hatte? Hat mich das etwa enttäuscht?
Ich muss mir an diesem Wochenende unbedingt über mein Gefühlschaos klar werden. Ich bin ja ganz durcheinander. Christian lächelt mich an und fummelt in meinem Haar rum. Es ziept ein wenig und der Kugelschreiber fällt heraus. Bewundernd sehe ich in seine dunklen Augen. Irgendwie hat er ein Fingerspitzengefühl für solche Dinge.
„Wie hast du das gemacht?“
„Ach, weißt du, Claudia, bei euch Frauen muss man auf alles vorbereitet sein.“
Er hält mir den Kugelschreiber hin und zwinkert mir zu. Ich muss
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