Gefürchtet
Pick-up schoss los. Ich legte den Sicherheitsgurt an, während der Wagen mit voller Kraft bergab auf den Pier zuraste.
Marc schaltete. »Festhalten!«
Gleich würde es furchtbar krachen. Das große Tor direkt vor uns, dessen Flügel in der Mitte durch eine Kette gesichert waren, war keine Bühnendekoration, sondern aus schwerem, silbrigem Metall.
Beim Aufprall sprühten die Funken, und der gesamte Pick-up erbebte. Ich wurde so heftig in den Sicherheitsgurt
geschleu dert, dass ich einen stechenden Schmerz in den Rippen spürte. Das Tor wurde aus den Scharnieren gerissen und knallte mit ei nem kreischenden Geräusch auf die Motorhaube. Marc blieb auf dem Gaspedal. Das Tor schlitterte über die Windschutzscheibe, flog zur Seite, und dann donnerten wir über die Rampe auf die Holz planken des Piers.
Marcs Stimme war von eherner Ruhe. »Wenn ich zum Boot runterklettere, übernimmst du das Lenkrad und wendest, damit wir sofort startbereit sind, wenn ich zurückkomme.«
Ölpumpen und Geräteschuppen flogen an uns vorüber, ein hoch aufragender Bohrturm, ein Pritschenwagen mit Bohrrohren. Leitplanken gab es nicht, nur Eisenbahnschwellen, die den Rand des Piers markierten wie ein Bordstein. Tief unter uns gähnte zu beiden Seiten der Ozean. Direkt vor uns erhoben sich am Ende des Piers ein Kran und verschiedene Winden. Dahinter herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Marc hielt die Augen starr geradeaus gerichtet.
Ich warf einen Blick durch die Heckscheibe. Der Strand war zu einem schmalen Streifen in der Ferne zusammengeschrumpft. Am Fuß des Piers parkte der Mustang und blockierte den Zugang.
»Aufgepasst«, sagte Marc.
Ich spannte die Muskeln an, was meinen schmerzenden Rippen gar nicht gefiel. Marc bremste scharf. Mit quietschenden Reifen kamen wir an der Treppe, drei Meter vom Ende des Piers entfernt zum Stehen.
»Du übernimmst.«
Kaum war er aus dem Wagen, rutschte ich über den Schalthebel auf den Fahrersitz. Marc hatte die Waffe gezückt, zog
den Schieber zurück und stürmte die Treppe hinunter, wo er aus meinem Blickfeld verschwand.
Obwohl mir meine Beine nicht recht gehorchen wollten, legte ich den Gang ein und fing an zu wenden. Der Pier war schmal, und als der Pick-up quer stand, sah ich hinter und vor mir nichts als undurchdringliche Nacht. Ich manövrierte nach Gefühl, in dem unangenehmen Bewusstsein, dass die fünfzehn Zentimeter hohe Begrenzung für die großen Räder des Wagens kein echtes Hindernis darstellte. Wenn ich nicht aufpasste, landete ich direkt im Wasser. Zentimeter für Zentimeter rollte ich mit schleifender Kupplung vor und zurück, bis die Schnauze des Pick-ups endlich in Richtung Küste zeigte. Ich öffnete die Fenster und lauschte, hörte aber nur das Heulen des Windes. Schließlich positionierte ich mich knapp vor der Treppe, sodass Marc di rekt in die Kabine springen konnte. PJ und Devi würden auf die Ladefläche klettern müssen.
Der Wind pfiff mir um die Ohren, und unter mir schwappte das Wasser um die Pfeiler. Am Endes des Piers schepperte Metall: der Kran.
Dann hörte ich mehrfach ein leises, trockenes Knallen, das vom Wind fast verschluckt wurde. Ich konnte nur hoffen, dass es kei ne Schüsse gewesen waren. Im Rückspiegel fixierte ich das obere Ende der Treppe. Hastige Schritte auf den Stufen, dann tauchten wilde Locken und ein flatternder Rock auf. Devi Goldman kam auf mich zugerannt.
Sie sprang ins Auto. »Fahr los!«
»Wo ist Marc?«
»Da unten wird geschossen. Jetzt fahr doch endlich!«
Ich behielt weiter die Treppe im Auge. »Ist PJ bei Marc?«
Sie starrte mich mit panischem Blick an. »PJ ist tot.«
Ich war wie gelähmt vor Entsetzen.
»Fahr los!« Sie warf ei nen Blick zur Treppe und schrie auf.
Hinter uns erschien eine Gestalt im weißen T-Shirt. Der kahle Schädel glänzte wie poliert: Murphy.
Er hob die Waffe in seiner Hand und schoss. Die Heckscheibe zerbarst. Devi schrie erneut. Ich legte den Rückwärtsgang ein, gab Gas und spürte den Aufprall, als ich ihn erwischte. Dann musste ich bremsen, weil plötzlich der Kran am Ende des Piers direkt hinter mir im Rückspiegel aufragte. Ich drosch den ersten Gang rein und fuhr los. Von Murphy war nichts mehr zu entdecken.
Devi wollte gar nicht mehr aufhören zu schreien. »Du hast ihn überfahren. Überfahren!«
Gut beobachtet. Noch einmal legte ich den Rückwärtsgang ein und setzte zurück. Dann fuhr ich erneut vorwärts und gleich wieder rückwärts. Wie in Trance rollte ich in Schlangenlinien auf
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