Gefürchtet
in ihre Heimatstadt Greenville in South Carolina zurückgekehrt.
Er zückte seine Brieftasche. »Hier, schau mal.«
Er reichte mir ein Dutzend Fotos, die ich mir im Licht der Verandalampe ansah. Mit den ernsthaften Augen und dem rätselhaften Lächeln ähnelten ihm seine Töchter sehr. Die beiden trugen Rattenschwänzchen, in die sie jede Menge Haarschmuck geflochten hatten.
»Das hier ist Lauren, und das ist Hope«, erklärte er.
»Hübsche Kinder.«
Er ließ die Fotos wieder in seiner Brieftasche verschwinden, aber wir standen immer noch unter der Verandalampe.
»So«, begann er und dehnte das Wort derart, dass es wie eine Bitte klang.
»Marc, du gehörst praktisch zur Familie. Also benimm dich wie die anderen und stell neugierige Fragen. Raus damit.«
»Wegen dir und Jesse.«
Die Kälte prickelte in meinem Gesicht, und meine Finger waren wie abgestorben.
»Der heutige Abend hat böse Erinnerungen bei ihm geweckt. Du darfst ihn nicht danach beurteilen.«
Er blickte zu dem hohen Gewölbe des Winterhimmels auf.
Über der schwarzen Silhouette der Berge funkelte der Polarstern.
»Ihr scheint euch gegenseitig das Leben schwer zu machen«, stellte er fest.
Das hatte mir gerade noch gefehlt: ein zweiter großer Bruder. Ich trat aus dem Lichtkegel. »Ich muss dir was erklären. Jesse und ich, wir sind beide Anwälte. Wir verdienen unseren Lebensunterhalt mit Streit. Darin sind wir gut.«
»Du genießt also diese Scharmützel?«
»Fragt das der Mann, der dafür bezahlt wird, gegen andere Flugzeuge zu kämpfen?«
»Touché. Trotzdem kann das im Alltag ganz schön zermürbend sein.«
»Hast du dich etwa mit Brian abgesprochen? Jetzt hör mir mal zu, Jesse hat sich heute Abend aufgeregt, weil …«
»Abgesprochen? Denkst du, Brian will dir Jesse ausreden?«
Ich schnaubte. »Heute Abend war eine Ausnahme. Normalerweise ist er allergisch gegen Jesse.«
»Er lobt ihn in den höchsten Tönen.«
Ich stutzte. »Im Ernst?«
»Jesse hat ihm das Leben gerettet. Du müsstest eigentlich wissen, wie dankbar er dafür ist.«
Ich nickte und spürte eine unerwartete Wärme.
»Aber ich sehe, wie hart Jesse gegen dich ist«, fuhr Marc fort. »Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen, sind das häu fig gegen andere. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.«
Ich begriff das nicht nur als Anspielung auf seine gescheiterte Ehe, sondern als Einladung. In der kalten Nachtluft hatten wir mit unserem Gespräch über seine Kinder und
den Fotos einen Kokon geschaffen, in dem ich mich geborgen fühlte. Und so wagte ich den Sprung und beging eine Dummheit, die mich noch teuer zu stehen kommen sollte.
»Ich will nicht, dass sich Brian um unsere Beziehung sorgt.«
Er nickte.
»Jesse ist mein Ein und Alles. Aber manchmal …« Ich zögerte. »Du hast schon recht, er ist hart gegen sich selbst, ein unbarmherziger Richter. Deswegen hat er sich im Club auch so aufgeregt.« Ich starrte in die Nacht hi naus. »Und das beunruhigt mich manchmal. Wenn ich nun seinen Ansprüchen nicht genüge?«
Marc stand wie ein Felsblock neben mir. »Dann müsste er ganz schön blöd sein. Du bist genau richtig, so wie du bist.«
So baute man das Selbstbewusstsein seiner kleinen Schwester auf. »Du findest wohl immer die richtigen Worte.«
»Bestimmt nicht. Aber ich arbeite daran.«
Drinnen im Haus bellte der Welpe.
»Weißt du …« Ich lächelte. »Bei ei nem Hund muss man seine Worte nicht auf die Goldwaage legen.«
»Netter Versuch. Aber das wäre mir zu einfach.« Er erwiderte mein Lächeln. »Ich mag die Herausforderung.«
Ricky brauchte ein paar Drinks, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Sanitäter brachten Tiger auf einer Trage weg. Seine Hände waren verbunden, und der Klub roch immer noch nach verbranntem Haar.
Die Feuerwehrleute meinten, das Wasser auf dem Boden und eine schadhafte Verbindung zwischen Gitarre und Verstärker hätten die Explosion ausgelöst. Aber Ricky starrte nur mit leerem Blick auf die Bühne.
»Er ist ganz in der Nähe«, sagte er. »Der Tod. Ich kann ihn riechen.«
»Das ist Tigers Gitarre. Oder es sind die Stiefel«, erwiderte PJ. »Das ganze Zeug ist geschmolzen.«
Nach ein paar weiteren Whiskeys führte PJ Ricky nach draußen. In der Tiefgarage reichte Ricky ihm die Schlüssel des Geländewagens. PJ hatte nur Bier getrunken und nicht die Sense des großen Schnitters gespürt, die Ricky nur um Haaresbreite verfehlt hatte.
PJ drehte den Zündschlüssel, aber der Motor wollte nicht
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