Gefürchtet
anspringen. Eigentlich durfte das bei einem BMW nicht passieren. Er versuchte es erneut, trat ein paar Mal kurz das Gaspedal durch, aber es tat sich immer noch nichts. Die Warnleuchten an der Armaturentafel spielten verrückt. Und dann roch er es. Der Gestank kam aus den Lüftungsöffnungen.
Ricky stieß seine Tür auf. »Verdammt noch mal, das ist doch Rauch. Der Tod ist mir immer noch auf den Fersen.« Er sprang aus dem Wagen. »Im Klub, da wollte er eigentlich mich holen. Tiger hat er nur aus Versehen erwischt.«
PJ verkniff sich die Bemerkung, dass Tiger nicht tot, sondern nur ein wenig angesengt war. Es stank nämlich tatsächlich nach Rauch. Er stieg aus und öffnete die Motorhaube.
Mit einem Fluch taumelte er rückwärts.
»Was ist? Ist es - was ist es?«, fragt Ricky.
»Raben.«
»Was?«
PJ presste den Handrücken gegen die Nase, um den Gestank auszusperren. »Tote Raben. Auf dem Motorblock.«
Es stank nach Fäulnis und Benzin. Getrocknetes Blut verklebte das Gefieder der Tiere.
»Wie kommen die da hin? Schaff sie weg, Peej.«
PJ hatte nicht die Absicht, die Vögel anzufassen. »Ricky, die können dir nichts tun.«
In diesem Augenblick gingen die Raben in Flammen auf.
Als ich um fünf Uhr morgens wach in meinem Bett lag und die Bäume betrachtete, die sich draußen im Wind wiegten, gestand ich mir endlich ein, dass Jesse nicht anrufen würde. Nach unserem Besuch im Chaco hatte ich ihm sechs Nachrichten hinterlassen. Ich zog mich an und fuhr zu sei nem Haus.
Der Freeway war völlig verlassen. An der San Ysidro Road bog ich in Richtung Strand ab, überquerte die Bahnlinie und folgte der Straße durch die Monterey-Kiefern. Sein Mustang stand in der Einfahrt. Über dem Meer hing der Morgenstern, und der Himmel über den Bergen zeigte den ersten blauen Schimmer.
Ich schloss auf und ging durch die Diele ins Wohnzimmer, wo nur eine einzige gedämpfte Lampe brannte. Die Morgendämmerung warf überall im Haus Schatten. Es war Flut, und der Ozean schimmerte tiefblau. Glitzernde Wellen liefen über den Sand.
In der Nähe der Fensterwand entdeckte ich den demontierten Rollstuhl. Ein Rad lag ohne Reifen neben dem Rahmen, und auf dem Tisch sah ich ein Reparaturkit.
»Jesse?«
Ich hörte ein leises metallisches Klirren.
Er saß hinter der Esstheke auf dem Küchenboden. Trotz der Kälte war er barfuß und trug nur sei ne Jeans. Er hatte die Küchenschublade auf dem Schoß, in der er allen möglichen Krimskrams aufbewahrte, und wühlte in Stiften, Gummibändern, Muttern und Schrauben.
»Hast du einen Platten?«, fragte ich.
»Du merkst auch alles.«
Seine Schultern waren verspannt, und das mahagonifarbene Haar fiel ihm ins Gesicht. Er griff nach einer Packung, stellte fest, dass es sich um Batterien handelte, und warf sie beiseite.
»Was machst du da?«, erkundigte ich mich.
»Ich suche die richtige Nagellackfarbe.«
Auf dem Boden lag ein zerbrochenes Glas. Zwischen den Scherben entdeckte ich ein Häufchen verstreuter Pillen, die verdächtig nach Diazepam aussahen.
»Jess.«
Er ließ die kunterbunte Mischung durch die Finger rieseln. »Ich brauche einen Reifenflicken, weil ich über die Glasscherben gefahren bin und deswegen einen Platten habe. Den muss ich reparieren, weil ich den Reifen für den Rollstuhl brauche. Und den Rollstuhl brauche ich …« Er starrte in die Schublade. »Weil …«
Er schleuderte die Schublade durch den Raum. Sie prallte gegen die Fensterwand und krachte zu Boden.
Der Inhalt verteilte sich über den Holzboden. Eine Münze kullerte davon und kippte klirrend zur Seite. Jesse ließ die Hände in den Schoß sinken.
»Sag nichts.«
Ich tat einen Schritt in Richtung Küche.
»Lass es.«
Ich blieb mit schlaff herabhängenden Armen stehen. »Jess, Marc konnte das nicht wissen.«
»Gib’s auf.«
Ich kniete mich neben ihn. »Schatz, du konntest nichts für Adam tun. Dass du ihn nicht wiederbeleben konntest, heißt
doch nicht, dass du versagt hast. Niemand hätte ihn retten können.«
»Da ist es ja.« Er beugte sich zur Seite und griff nach dem Päckchen mit Reifenflicken, das er gesucht hatte und das neben dem Kühlschrank auf dem Boden gelandet war.
»Jesse.« Ich streckte die Hand aus, aber er schaute mich noch nicht einmal an. »So kann es doch nicht weitergehen.«
Ohne den Blick vom Boden zu lösen, nahm er die Flicken zwischen die Zähne und rutschte rückwärts in Richtung Rollstuhl.
Als ich mich erhob, rauschte mir das Blut in den Ohren. Jesse hatte
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