Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
Vom Netzwerk:
noch in der Stadt? Seine Schwester? Hope schien sich in Bedlam erstaunlicherweise wohlzufühlen, sie brauchte Blueskin und seinen Schutz nicht mehr, zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie eine ebenbürtige Freundin. Und das war mehr, als Blueskin von sich behaupten konnte. Der einzige Freund, den er je gehabt hatte, hatte sich als gemeiner Verräter entpuppt. Falls Bess die Wahrheit gesagt hatte. Davon abgesehen war Blueskin umgeben von Feinden und missgünstigen Weggefährten, die nur darauf brannten, ihn fallen und verrecken zu sehen. Nein, nichts und niemand hielt ihn in London. Für einen kurzen Augenblick kam ihm Poll in den Sinn, doch sofort schob er den Gedanken weit von sich. Poll hatte ohnehin Probleme genug, denn seit ihrer Beteiligung an Jacks Flucht aus Newgate wurde offiziell nach ihr gefahndet, und sie hatte sich in den letzten Tagen schon mehr als ausreichend um Blueskin gekümmert. Er war zu einer Belastung und zu einer Gefahr geworden, zu einem Fluch.
    Es blieb ihm eigentlich nur die Flucht aufs Land, alles andere wäre einem Selbstmord gleichgekommen, und doch entschied er sich sehenden Auges für den Untergang. Er konnte nicht anders. Es gab noch einige offene Rechnungen, die zu begleichen waren. Auge um Auge, Leben um Leben! Wenn er schon unterging, dann wollte er nicht allein zur Hölle fahren. Dann wollte er Jack mitnehmen! Und Jonathan Wild obendrein. Das hatte er sich einst geschworen, und das schwor er sich nun erneut.
    Vor allem aber wollte er es aus Jacks Mund hören! Es mit eigenen Augen sehen, am eigenen Leib spüren. Dass Jack zum Judas geworden war!
    Nachdem Blueskin im unterirdischen Walbrook zurück bis nach Drapers’ Gardens gewatet war, dort seine Kleider an sich genommen und seinen verdreckten Körper an der nächsten öffentlichen Wassertränke notdürftig gewaschen hatte, war er gerade eben vor Sonnenaufgang nach St. Giles-in-the-Fields geeilt und hatte sich in seinem Versteck verkrochen. Wie ein angeschossenes Wildtier.
    Seine kaum vernarbten Wunden leuchteten rötlich und quollen an den Rändern auf, die aufgeplatzten Blasen auf der Schulter und an den Unterarmen brannten, als hätte er sie mit Geneva begossen, und sein verstauchter Knöchel war angeschwollen und blau angelaufen. Was allerdings bei Blueskins Haut kaum auffiel. Vor allem aber musste er entsetzt feststellen, dass er den Geruch nach Kot nicht losgeworden war. Er stank zum Erbarmen, und bald war das winzige Kellergelass, das sich unter einer Bauruine im Coal Yard befand, von dem ekelhaften Duft erfüllt. Blueskin hatte den Coal Yard mit Bedacht als Versteck ausgewählt, denn es handelte sich nicht um einen einzelnen Hof mit einem einzigen Zugang, sondern um eine Vielzahl schmaler Gassen und verwinkelter Yards, die sowohl vom oberen Ende der Drury Lane als auch von High Holborn zu betreten waren. Über ein paar Hinterhöfe und einige leidlich hohe Mauern gelangte man zudem rasch zu den Feldern von Lincoln’s Inn. Ein idealer Schlupfwinkel. Doch vor allem war dies ein Versteck, das nicht einmal Jack Sheppard kannte, weil Blueskin es erst vor Kurzem aufgetan hatte, als Jack im Gefängnis gesessen hatte.
    Auch zum »Black Lion Inn« war es nicht weit, und dorthin führten ihn seine ersten Schritte, kaum dass er ein wenig geschlafen und seinem geschundenen Körper eine kurze Verschnaufpause verschafft hatte. Er verkleidete sich diesmal nicht als Frau und unternahm keinerlei Anstrengung, seine dunkle Haut vor den Blicken der Passanten zu verstecken. Es war nun ohnehin alles einerlei! Als er etwa gegen Mittag das gut gefüllte Wirtshaus betrat, nahm er seinen Schlapphut ab, ging zum Schanktisch und fragte Mr. Hynd, den Wirt, ob er Jack gesehen habe.
    Der gute Mann starrte ihn an wie einen Geist, sein Unterkiefer klappte nach unten, und er schüttelte stumm den Kopf.
    »Ist jemand oben?«, fragte Blueskin und wies mit einem Kopfnicken zur Treppe.
    Der Wirt brachte nach wie vor keinen Ton über seine Lippen, aber er schüttelte auch nicht den Kopf. Das war Blueskin Antwort genug. Er bestellte ein Pint Porter und bezahlte es, wartete aber nicht, bis der Wirt eingeschenkt hatte, sondern ging mit schnellen Schritten die Treppe hinauf.
    Als er an der Tür zur Dachkammer ankam, vernahm er ein leises, aber unverkennbares Stöhnen und Ächzen. Zwar war die Tür von innen mit einem Klappriegel verschlossen, doch weil der Spalt zwischen Tür und Rahmen sehr breit war, ließ sich der Riegel ohne Weiteres mit einem Messer

Weitere Kostenlose Bücher