Gegen alle Zeit
wollte er nicht auch noch ins Burlington House einbrechen müssen. Er hatte genug von alledem!
»Wer da?«, meldete sich eine krächzende Stimme aus dem Inneren.
»Samuel?«, fragte Henry. »Seid Ihr das?«
»Der ist bei den Hühnern.«
»Könnt Ihr ihn holen?«
»Wer will was von ihm?«
»Sagt ihm, Captain Macheath möchte ihn sprechen!«
»Kenn ich nicht.«
»Samuel kennt mich.«
Ein Knurren war zu hören. Dann das Schlagen einer Tür. Dann Stille.
Es dauerte eine Weile, bis sich im Stall wieder etwas tat. Eine Tür quietschte in den Angeln, jemand ächzte schwerfällig. Schließlich öffnete sich einer der beiden Torflügel, und das Gesicht des alten Knechts erschien. Bei Henrys Anblick erschrak er sichtlich und rief: »Was ist denn mit Euch geschehen, Captain? Ihr seht aus wie der bleiche Tod.« Mit einem Winken bat er Henry hinein.
»So fühle ich mich auch«, antwortete Henry und ging schwankend an Samuel vorbei in den Stall. Den Gestank der Schweine nahm er kaum wahr, er fühlte nur die angenehme Wärme der Tiere und hätte sich am liebsten zu ihnen ins Geviert gelegt. »Ich brauche Hilfe, Samuel.«
»Stets zu Diensten«, wiederholte der Knecht die Worte, mit denen er sich beim letzten Mal verabschiedet hatte. »Was kann ich für Euch tun?«
»Ist der Deutsche noch da?«, fragte Henry, nachdem er sich überzeugt hatte, dass sie allein im Stall waren. »Der Musiker?«
»Ay, Captain«, antwortete der Alte. »Auch wenn man ihn kaum zu Gesicht bekommt. Mr. Pepusch und Mr. Gay stecken den ganzen Tag die Köpfe zusammen, als wollten sie irgendetwas aushecken.« Er schien regelrecht froh darüber, dass er mit Nachrichten dienen konnte, und plauderte munter drauflos. »Lord Burlington scheint eingeweiht zu sein, jedenfalls hat er Mr. Gay von seinen sonstigen Arbeiten entbunden und besucht die beiden Käuze regelmäßig im Gärtnerhaus. Der Lord hat dem Deutschen sogar ein Instrument besorgt. Sieht aus wie ’ne Geige, nur ’n bisschen größer.«
»Bratsche«, vermutete Henry und fragte: »Sie machen also Musik?«
Der alte Samuel nickte heftig mit dem Kopf und antwortete: »Und ob! Master Pepusch fiedelt, und Mr. Gay singt dazu. Trinklieder, wenn Ihr mich fragt. Und Spottgesänge.«
»Ich muss mit ihnen sprechen, vor allem mit Maestro Pepusch.«
»Dann müsst Ihr Euch einen Moment gedulden. Die beiden sind vorhin ins Herrenhaus gegangen«, sagte der Knecht und hob vielsagend die Augenbrauen. »Sie frühstücken gemeinsam mit Lord und Lady Burlington. Seitdem Maestro Pepusch hier ist, verkehren sie häufig im Herrenhaus. Mr. Gay ist durch den Deutschen im Ansehen gestiegen, wie es scheint. Das hat er Euch zu verdanken.«
»Warum wohnt er dann noch im Gartenhaus?«, wunderte sich Henry.
»Weil sie dort ihre Ruhe haben«, vermutete der Knecht achselzuckend. »Und sich ungestört betrinken können.« Er hielt den Zeigefinger vor die Lippen und setzte kichernd hinzu: »Aber das bleibt unter uns. Ich möchte keinen Ärger bekommen.«
Henry nickte und fragte: »Wo kann ich auf sie warten?«
»Macht es Euch in meinem Reich bequem!«, erwiderte Samuel und deutete auf einen Strohhaufen in der Ecke des Stalls. »Ihr seht aus, als könntet Ihr eine Mütze voll Schlaf vertragen. Das Stroh ist ganz frisch.«
»Ich würde lieber beim Gärtnerhaus warten, wenn Euch das recht ist.«
Der Knecht hob zustimmend die Achseln, und Henry folgte ihm hinaus auf die Weide und von dort in den Nutzgarten, wo zwei junge Kerle gerade dabei waren, Rotrüben zu ernten.
»Habt Ihr den kleinen Jack getroffen, Captain?«, wollte Samuel wissen, während er gebückt voranging und Henry die Pforte zum Park aufhielt. »Ist er noch auf freiem Fuß?«
»Ay, das ist er«, antwortete Henry knapp.
»Geht es ihm gut?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Henry und konnte nicht verhindern, dass seine Worte harscher klangen als beabsichtigt. Schnell fügte er hinzu: »Jack ist wie ein Katze. Er landet immer auf den Beinen.«
»Ja, das hat seine Mutter auch immer gesagt«, lachte der Alte und fügte nachdenklich hinzu: »Ganz anders als sein Bruder Tom. Der ist keinen Schuss Pulver wert. Den eigenen Bruder zu verraten! Wie kann man nur? Tom soll bald nach Amerika verschifft werden, heißt es. Geschieht ihm recht!«
»Keinen Schuss Pulver«, wiederholte Henry und folgte dem Alten auf einem gewundenen Weg, der unter alten Bäumen zu einem kleinen Cottage führte, das – wie alles in diesem albernen Pappmaschee-Garten – auf
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