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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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   Ich habe noch zwei Fragen, Joschka. Ich fange mal mit der deutschen Wiedervereinigung an. Für mich war die Haltung der Grünen in den Jahren 1989/90 vollkommen unverständlich. Ich habe damals von der zweiten Chance gesprochen und gesagt, dass die Wende für Deutschland eine zweite Chance wäre, von der ich mir freilich in keiner Weise sicher sei, dass sie genutzt wird. Die Leistung von Helmut Kohl steht heute, glaube ich, außer Zweifel. Während die Grünen – und auch die SPD – damals wohl den Fehler gemacht haben, sich in dieser Frage nicht eindeutig für eine schnelle Vereinigung auszusprechen, und lauter Vorbehalte anmeldeten. Bei den Bundestagswahlen 1990 sind sie dann auch unter die fünf Prozent gerutscht und aus dem Bundestag ausgeschieden.
    FISCHER    Es ist etwas komplizierter.
    STERN    Erklären Sie es mir.
    FISCHER    Ich persönlich hatte vor der Einheit Angst, Fritz, nicht vor der Freiheit, wohlgemerkt. Ich fürchtete, Deutschland könnte wieder in eine Rolle geraten, die wir alle nicht wollen konnten. Vielen in meiner Partei, wie auch übrigens manchen DDR-Dissidenten, ging es so, wir fürchteten uns vor den Geistern der Vergangenheit. Mal sehen, wie es sich jetzt entwickelt. Die alten Geister werden wohl nicht wiederkommen, aber aufgrund der neuen Größe Deutschlands könnte die Lage sehr viel schwieriger werden, als wir uns das wünschen.
    STERN    Für viele Ostdeutsche könnte damals der Eindruck entstanden sein, als ob sie von der deutschen Linken ausgeschlossen werden sollten, weil die Kosten der Einheit angeblich zu hoch waren.
    FISCHER    Wir waren für die Freiheit, hatten aber große Skepsis wegen der Einheit.
    STERN    Da muss ich Ihnen sagen, dass ich die Sorge vor einem Wiedererwachen des Nationalismus zu keinem Zeitpunkt geteilt habe. Natürlich musste man mit der neuen Macht – von der ja noch niemand wusste, wie groß sie eines Tages tatsächlich sein würde – behutsam umgehen. Zumal aus dem Wissen um die Vergangenheit. Aber die Wiedervereinigung war ja, international gesehen, die moralische Anerkennung der Bundesrepublik. Mit ihrer Zustimmung zur Wiedervereinigung haben die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesrepublik seit 1949 mit politischer Vernunft gehandelt hat und dass man von diesem Land erwarten oder hoffen konnte, dass es diese Politik der Vernunft fortsetzen würde. Ich gebe zu, dass ich 1989 eine Zeitlang eine gewisse Sympathie hatte für diejenigen, die nach einem dritten Weg gesucht haben. Diesen Standpunkt habe ich aber recht bald aufgegeben, weil mir klar wurde, es gibt keinen dritten Weg, es gibt nur die liberale Demokratie.
    FISCHER    Also, mit Modrows Pressekonferenz nach seiner Rückkehr aus Moskau, der berühmten Deutschland-einig-Vaterland-Pressekonferenz, war die Sache für mich entschieden. Ich habe damals die Live-Übertragung im Fernsehen gesehen, und da war mir klar, das war’s. Deshalb, um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Grünen sind nicht gescheitert wegen der Einheit, weil sie da eine andere Position vertreten hätten oder zögerlich gewesen wären, sondern weil die Themen der Grünen überhaupt keine Rolle spielten. Ich war von Anfang an in den Wahlkämpfen in Ostdeutschland unterwegs, und das war nun wirklich für uns Eiswürfel im Winter in Alaska verkaufen. Es gab eine kleine, sehr aktive Umweltbewegung, die im Naturschutzbereich auch einiges erreicht hat – Matthias Platzeck, heute der brandenburgische Ministerpräsident, ist einer von jenen, die aus dieser Zeit herüberragen. Es ist auch einiges unter Lothar de Maizière gerade im Naturschutz gemacht worden, was bleibend ist, zum Beispiel der Naturschutzgürtel entlang der innerdeutschen Grenze. Also nicht weil sie die Einheit nicht wollten, sondern weil sie mit ihren Themen nicht durchkamen, sind die Grünen nicht in den Bundestag gekommen.
    STERN    Wenn man sieht, die Themen kommen nicht an, dann muss man die Themen eben wechseln. Eiswürfel in der Wüste sind eben das falsche Thema.
    FISCHER    Nein, Eiswürfel in der Wüste würden sehr gut gehen, in Alaska im Winter gehen sie nicht. In der Wüste Eiswürfel verkaufen …
    STERN    Die zerrinnen Ihnen, noch bevor Sie sie angeboten haben. So ähnlich wie die Themen der Grünen …
    FISCHER    Es ist eine Frage, wie Sie das Problem managen. Aber wenn Sie in der Wüste Eiswürfel anbieten, dann haben Sie eigentlich ein sehr gut gehendes

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