Gegen jede Regel
drängen. Nina rückte einen halben Schritt von ihm ab,
aber das schien er nicht zu bemerken.
Als wir in Seybolds Dienstwagen losfuhren, Nina auf dem
Beifahrersitz, ich hinten, fragte der Kollege: »Ist dieser Grams eigentlich
Verdächtiger oder Zeuge?«
Ich sagte: »Wir haben ein Mordopfer, das bei einem E-Mail-Spiel
mitgespielt hat. Es handelt sich um eine Partie im Halbfinale der Deutschen
Meisterschaft. Unser Opfer und Herr Grams hatten seit Längerem Konflikte in
diesem Spiel und wir denken, dass sich daraus ein Motiv ergeben könnte. Wir
müssen Elias Grams auf jeden Fall aus formalen Gründen überprüfen, um ihn als
Täter ausschlieÃen zu können.«
Kommissar Seybold schwieg eine Weile, dann sagte er: »Verdächtiger
oder Zeuge?«
Ich sagte: »Zeuge.«
Kollege Seybold fixierte mich im Rückspiegel. »Das müssen
wir hinterher auch noch besprechen.« Und obwohl er offenbar den Hintergrund
nachvollziehbarerweise nicht verstand, blieb er die restliche Fahrt über stumm
und machte nur durch gelegentliche Seitenblicke auf seine Beifahrerin auf sich
aufmerksam.
Wir fuhren in einen Vorort von Münster. Weil die Adresse
von Elias Grams in einem AuÃenbereich dieses Vorortes lag, war es sehr leicht
zu vergessen, dass wir uns in einer GroÃstadt befanden. Ich erinnerte mich an
die Karte und an die Tatsache, dass der städtische Bereich an der Stadtgrenze
von Münster abrupt aufhörte. Ãberquerte man diese Grenze unvorbereitet, konnte
man angesichts der unendlichen westfälischen Weiten, denen man von einem Moment
auf den anderen ausgesetzt war, einen Schock erleiden. Ich fand das
faszinierend, zumal man solche Kontraste noch nicht einmal am Niederrhein fand.
Ich war erleichtert, als wir wieder in die Zivilisation
einbogen und das Geschäft von Elias Grams fanden.
Alles machte auf mich den Eindruck eines klassischen
Bauhofs. Ein Wohnhaus aus den 1950er-Jahren kauerte neben einer Halle mit zwei
groÃen Segmenttoren, in der die Firmenwagen und das Lager untergebracht waren.
Ein sauberer Innenhof, der mit einem Palisadenzaun von den Nachbargrundstücken
abgegrenzt war. Die Halle schien so verlassen wie der Hof und unser Kollege
führte uns zu dem Wohnhaus. Er klingelte und wartete geduldig.
Der Mann, der uns die Tür öffnete, erinnerte mich an einen
mittelalterlichen Mönch. Er war blass, ein wenig übergewichtig, hatte ein
weiches rundes Gesicht, von seinen Haaren war nur noch ein schmaler Kranz übrig
und er roch unangenehm nach SchweiÃ. Ich schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Wenn
das Elias Grams war, dann war er keine besonders verkaufsfördernde Erscheinung.
Kollege Seybold stellte uns vor und fragte dann: »Herr Elias
Grams?«
Der Mann nickte. Nun, vielleicht war eine verkaufsfördernde
Erscheinung ja auch gar nicht nötig, denn Herr Grams verkaufte schlieÃlich
keine Hochzeitskleider oder Diamantcolliers, sondern tapezierte und gestrichene
Wände.
»Kommen Sie doch herein«, sagte der Malermeister.
Er führte uns durch einen düsteren Flur, in dem an der
Wand ein paar Eimer Farbe und Malerutensilien gestapelt waren. Ich stolperte
über eine Rolle Kreppband. Von vorn hörte ich Grams: »Ach, entschuldigen Sie
die Unordnung, treten Sie das Ding einfach zur Seite.«
Ich folgte seiner Empfehlung und tastete mich weiter hinter
Seybold her durch die Katakomben des Malers. Wir bogen in ein Wohnzimmer ab,
das kaum freundlicher war als der Flur, das man dafür aber ohne Gefahr durchqueren
konnte. Wir setzten uns an den Esstisch, der vor der Verbindungstür zur Küche
stand.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Elias Grams. »Kaffee?
Wasser? Bier?«
»Ein Kaffee wäre sehr angenehm«, sagte Seybold und ich
fragte mich, woher er die Würde nahm, mit der er seine Worte aussprach.
Grams ging in die Küche, um den Kaffee zu holen. Nina und
ich tauschten einen längst überfälligen Blick aus, ohne Seybold in diese
vertrauliche Geste einzubeziehen. Auf seiner Homepage hatte Eliasâ Grams
Betrieb wie ein gemütliches kleines Familienunternehmen gewirkt. Ich nahm mir
vor, in Zukunft bei Werbung im Internet noch vorsichtiger zu sein.
Grams kam mit vier Tassen zurück und schenkte uns ein.
Seybold bedankte sich, nahm seine Tasse und lehnte sich zurück. Er schaute uns
auffordernd an und ich begann.
»Herr Grams, vielen Dank,
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