Geh auf Magenta - Roman
genommen haben Sie sich bereits von ihm getrennt. Diese Auflistung hört sich bei Ihnen an wie eine Beweisführung vor der Inquisition.«
Das klang beiläufig, so als sei die anstehende Trennung das Normalste der Welt, wie ein Gang zur Stadtverwaltung oder zum Ordnungsamt; der Gedanke behagte ihr nicht.
»Sie mögen diesen Gedanken nicht?«, sagte er. »Wie könnten Sie auch, wir sprechen über eine unangenehme Sache, natürlich. Nun ist es aber meine Aufgabe, eine tiefere Aussage hinter Ihren Worten herauszulösen, Sie verstehen? Wie ein Bildhauer, der überflüssigen Marmor abträgt; seine Figur entsteht durch die Reduzierung des Materials, trägt man in diesem Fall alles ab, was unwahr ist, so erhält man die wahrscheinliche Wahrheit. Ich ziehe nur Rückschlüsse und erhalte die Wahrheit – Ihre Wahrheit.«
Das klang überzeugend, es gefiel ihr allerdings immer noch nicht. Trotzdem schien er zufrieden zu sein, die Stunde sei jetzt zwar um, aber so genau würde er das nicht nehmen, man könne sich jederzeit wiedersehen. »Im Übrigen nennen mich meine Patienten in der Regel beim Vornamen. Josh.«
Er reichte ihr die Hand, die sie lächelnd annahm; Josh , von Joshua . Und damit man mit der Therapie nicht so viel Zeit verliere, könne man vielleicht an ein baldiges Abendessen denken, vielleicht im Borchardt oder im Margaux oder Victorians . Und sie solle Thomas nachher, wenn er bei ihr wäre, auf jeden Fall von ihm grüßen, ein toller Kerl. Und das mit dem Victorians wäre bestimmt eine gute Idee, wiederholte er, lachte noch einmal besonders hoch und schloss hinter ihr die Tür. Etwas wacklig ging sie auf die Straße, zündete sich eine Zigarette an und dachte, dass alles, einfach alles in ihrem Leben nur noch wahnsinnig war.
Noch ein schwarzer Streifen auf dem Handgelenk.
Sie stand vor dem Spiegel des geöffneten Kleiderschrankes und blickte in ihr verschmiertes Gesicht. Es waren nicht einmal zehn Tage vergangen, und ihr Leben hatte sich vollkommen verändert, für ihren Geschmack ein wenig zu sehr. Auch Debbie und Zoe hatten ihre Stimmung mitbekommen und das ständige Wechseln zwischen Weinen und Lachen bemerkt. Einmal hatte Zoe sogar gefragt, welche Mami denn jetzt die richtige sei. Debbie hatte dazu nur gelächelt, mit ihren zwölf Jahren verstand sie wahrscheinlich schon mehr, als Mel jetzt lieb war. Aber sie taten ihr gut, die Kinder waren die Stütze, die sie brauchte. Alles andere konnte sie getrost unter Lebenseinbruch der aufregenden Art verbuchen.
In zwei Stunden würde Thomas kommen, sie beschloss, ein besonders laszives Kleid anzuziehen.
2
Bastien stellte die Mülltüte und den Rucksack auf den Boden und ließ sich auf die Matratze fallen. Manchmal, wenn er in Serien arbeitete, schlief er hier im Atelier und erzählte auch gerne seinen Sammlern davon, von seiner Arbeitswut, wie ein van goghscher Wahnsinn , das konnte nicht schaden und erfüllte auch oftmals seinen pekuniären Zweck, bedurfte doch ein Genie jederzeit der Unterstützung selbsternannter Minderer, die Kunstgeschichte war voll davon.
So war auch das Atelier ostentativ spartanisch eingerichtet, nichts sollte vom Wesentlichen ablenken, von den Leinwänden, die in ungeordneten Haufen aneinanderstanden, manche noch unfertig, andere in Folie verpackt und beschriftet. Die Adresse einer inzwischen insolventen New Yorker Galerie prangte auf einem der verpackten Bilder, es stand ganz vorne. An einer Wand ein verschlissenes Sofa mit einem kleinen Beistelltisch, daneben ein Ledersessel, der nur noch mit Fantasie als solcher zu erkennen war, bestanden seine Lehnen doch aus nicht viel mehr als Brandlöchern. An der anderen Wand befand sich ein Kühlschrank, gefüllt mit Grundnahrungsmitteln wie Fertigschnitzeln, eingeschweißten Käseecken und seinem Lieblingswein. So beschloss er auch jetzt, eine Flasche aufzumachen und auf sein neues Leben zu trinken, und besonders darauf, dass Mel sie einfach nicht mehr alle hatte und dass sie ihn jetzt einfach mal konnte . Das erste Glas trank er auf ex und füllte es wieder auf. Ein Schock , dachte er, du stehst jetzt unter Schock, Scheiße. Das ist doch wie im Film.
Er leerte auch das zweite Glas in einem Schluck, griff sich einen Edding, wankte zur Wand und schrieb in krakeligen Buchstaben auf den Putz:
1 Du wirst sie nicht anrufen.
2 Ein Berg bewegt sich nicht (du).
3 Sie soll vertrocknen.
Den Satz strich er kurz darauf wieder.
3 Du wirst dich nicht entschuldigen.
4 Sie hat sich zu entschuldigen
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