Geh auf Magenta - Roman
beide auf ihr Erreichtes stolz waren, änderte nicht viel an dem anwährenden Geldmangel, der seit der Arbeitslosigkeit ihres Vaters wie ein Damoklesschwert über dem Haus hing; ein Einsparen hier, eine weitere schlechte Laune da, die Angst vor dem Nichts begleitete sie seit ihrer Jugend, und es war wohl normal, dass sie diese mit nach Berlin nahm. In der Gegenwart von Geld gab es keine Angst.
Sie kreuzte jetzt die Friedrichstraße und blickte auf die gegenüberliegenden Häuserfassaden. Dort oben würde sie bald wohnen. Ein Blick über Mitte, sogar noch darüber hinaus. Mittags würde Acun dann kommen, ebenso später am Abend, wenn er nicht wieder auf einer seiner Geschäftsreisen in Istanbul war. Soviel sie wusste, unterhielt er dort nicht weniger als fünf Kinder, ein Sohn war bereits in ihrem Alter. Das mochte auch der Grund sein, weshalb er immer alleine dort hinfuhr, was ihr ganz recht war, denn diese Zeit bedeutete ein Quantum mehr an Freiheit. Seine Anrufe fanden dann nicht mehr stündlich statt, sondern nur noch dreimal täglich, so wie im Moment, sie konnte sogar so etwas Verrücktes machen, wie diesen Rob in einem Café zu treffen. Der sich eben sogar recht gut benommen hatte, der mitgefühlt hatte. Anders als Acun, der zwar wusste, dass sie auf ein bestimmtes Auftreten Wert legte und sich in Restaurants deshalb besonders förmlich gab, ohne aber zu verstehen, was sie damit meinte; nein, es ging ihr nicht um diese Etikette, es ging ihr um das Dahinter, um die so gezeigte Aufmerksamkeit, um das Gefühl, das man ihr entgegenbrachte, also nur darum, eine Heimat zu haben, einen inneren Ort, an dem man verankert war, ohne sich gleich als Besitz fühlen zu müssen, als ein Besitz, der eine jede authentische Liebe bereits im Keim erstickte. Wer sie haben wollte, hatte sie eben dadurch bereits verloren.
Nicht so bei Rob. Sie mochte ihn auf Anhieb, schon damals, als sie Bastien besuchte. Er hatte ihr einmal aus Spaß mit einem Diener die Tür aufgehalten und ihr einen seiner Malerkittel zugeworfen, später dann noch eine Flasche Wein vorbeigebracht. Er sah einen direkt an und schien keine Hintergedanken zu haben, das gefiel ihr am meisten. Selbst bei längerem Nachdenken fiel ihr niemand ein, der nicht irgendwelche Hintergedanken hegte, auch Bastien. Seinen Vorschlag, mit ihr nach Thailand zu fahren, empfand sie als sehr durchsichtig; da sie seinerzeit aber beziehungsfrei war und somit Zeit hatte, sprach nichts dagegen. Sie hätte sich während der Reise nur etwas mehr geistigen Austausch gewünscht, aber Bastien hatte wohl anderes im Sinn. Sehr dumm, wie sie damals dachte, mit ein paar eloquenten Gesprächen hätte er ihre Lust ganz einfach wecken können, und sie hätte sich nicht hinter Bücher- und Kissenbergen vor seiner Anmache verstecken müssen. Eine Lust fand man nicht einfach vor, man hatte sie zu entwickeln, lieber Herr Bastien.
Rob machte einen anderen Eindruck, ihm schien wirklich am Glück seines Freundes zu liegen, diese Fürsorge rührte sie. Auch hatte er nicht dauerhaft gelächelt, eben, im Café.
Immer dieses Lächeln.
Die meisten Männer lächelten auch dann noch, wenn sie ihnen das Herz brach, wie man so sagte, wenn sie einfach genug hatte von diesem Sonia-Einkauf-Day, wenn es mal wieder reichte. Sie lächelten sie an, als könnten sie damit noch etwas ändern, vor allen Dingen ihre Unfähigkeit, sie wirklich glücklich zu machen. Auf diesen Gedanken kamen die wenigsten; die eigene Unfähigkeit gab es nicht, und eine Vorstellung von Glück manifestierte sich stets in Dingen, je teurer die Dinge, je größer das Glück, das man meinte zu geben. Das klang nach einer Formel, vielleicht war es auch eine.
Sie freute sich auf Rob.
*
Die Bilder waren nicht besonders scharf und auch von groben Pixeln durchsetzt; manchmal zogen sich horizontale Streifen hindurch. Dennoch schienen sie brauchbar zu sein, die Umgebung und die Personen waren eindeutig zu erkennen. In diesem Moment sah sie ihre Mutter, die einmal quer durch das Bild lief, ein anderes Mal die Haushälterin, dann sich selbst. Zu der Zeit musste sie um die dreizehn Jahre alt gewesen sein, eine zierliche kleine Mila.
Sie ging auf Zoom und vergrößerte den Ausschnitt, jetzt war der ganze Raum zu sehen: das Wohnzimmer mit dem anschließenden Essbereich und ein Teil des Wintergartens.
Gleich würde er kommen.
Nein, vorher würde noch Jo, der Hund, durch das Bild laufen. Am Tisch würde er kurz stehen bleiben, ein wenig schnuppern und
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