Geh nicht einsam in die Nacht
Everis nach Hause ging und den Schnee herabtaumeln und das gesamte Bahnhofsgelände in Tallinge in eine stille weiße Decke hüllen sah, oder an gewissen Sommerabenden, wenn ich die Sonne in einer Kaskade aus Rot hinter den Feldern des Hofs Angervonniemi am westlichen Ufer Svartvikens untergehen sah. In Svartviken waren die Gäste bloß Pflicht und Staffage, sie bedeuteten ein langes Warten auf die nächste Gelegenheit, bei der ich das Ruderboot nehmen und im Morgengrauen oder in der Abenddämmerung hinausrudern durfte, um mitten auf dem See zu sitzen, im Boot, ganz still, allein, und den fernen Motorengeräuschen von Booten in angrenzenden Buchten und Autos auf der fast fünf Kilometer entfernten Landstraße zu lauschen.
Ich erinnere mich an die wolkenverhangenen Tage, wie feucht und still sie waren, und dann, nachmittags, kühlte sich die Luft ab und der Regen rieselte, und gleichzeitig stieg Rauch aus den Schornsteinen der kleinen Häuser und Saunen auf den knapp bemessenen Parzellen am nördlichen Ufer der Bucht. Wenn ich etwas wählen müsste, was mich am besten in jene Zeit zurückversetzt, wenn ich einen einzigen Erinnerungsabdruck unter den Hunderten von Melodien, Bildern und Geschmackseindrücken wählen müsste, die mir zur Auswahl stehen, dann würde ich den Geruch von brennendem Holz in Svartviken an einem kühlen und verregneten Sommernachmittag wählen. Und ich füge den Anblick einer spiegelblanken grauen Wasserfläche und des Rauchs hinzu, der aus Schornsteinen aufsteigt und sich auflöst, ich füge die fernen, murmelnden Stimmen hinzu, die Menschen auf Hausgrundstücken rund um die ganze Bucht gehören, Menschen, die Holz hineintragen oder umhergehen und Strandspielzeug einsammeln und Sonnenstühle zusammenklappen, um sie so davor zu bewahren, von Wasser durchtränkt zu werden.
Manchmal wurde diese Stille übereilt von meinem Vater und anderen Fischern durchbrochen, die mit Petri Heil gesegneten Fängen rechneten, weil die Hitze vorbei war. Blutdürstig schoben sie ihre Ruder- und Motorboote von den Ufern und machten sich auf den Weg zu Lilla Ön und zu den Untiefen und Schilfbuchten auf der anderen Seite der Landzunge Angervonniemi. Aber dann entfernte ich mich vom Ufer und ging in den Wald. Das Geräusch der Außenbordmotoren hörte man zwar auch dort, doch es wurde schwächer, und das Klatschen von Henrys Rudern verschwand, und ich dachte nicht mehr an Regenwürmer, deren Körper von Haken durchbohrt wurden, oder an zarte Fischmäuler, die von ihnen perforiert wurden, sondern an die Freiheit, die darin lag zu leben und leben zu lassen, und der würzige Rauchduft von den Schornsteinen am Ufer vermischte sich mit den Aromen der regennassen wilden Himbeersträucher im Wald.
Ebenso deutlich wie an die Regentage erinnere ich mich an Hitze und Sonne, die ganze Welt verwandelt in einen angenehm stumpfsinnigen Müßiggang, das Wasser der Bucht warm wie in einer Badewanne, und an mich, der ich bäuchlings auf dem klapprigen Steg liege und zwischen den Bretterritzen ins Wasser hinabstarre, das ausnahmsweise nicht dunkel brütet, sondern hellbraun, fast schon gelblich ist. Ich sehe die Barsche dort unten, sie tragen grüngestreifte T-Shirts, haben Glotzaugen und rote Flossen, sie sehen nett aus, stehen vollkommen still, wirken genauso träge wie ich, nur ihre Bauchflossen bewegen sich gemächlich, als ließe eine Strömung die Flossen schwanken, und ich grübele, warum Henry sich so danach sehnt, diese Barsche zu überlisten, ihnen das Genick zu brechen, sie zu räuchern. Und denke an Henrys albernen kleinen Sanyo-Fernseher, den er wegen der Sportübertragungen nach Svartviken hinausgeschleppt hat, und an seine Enttäuschung, als ich mich nicht dafür interessiere, nicht die Bohne, nicht für die Olympischen Spiele und nicht für die Fußball-WM und nicht für die Leichtathletik-EM und nicht für den traditionellen Leichtathletikländerkampf gegen Schweden. Es sind die Jahre, behauptet der Mythos, in denen alle finnischen Jungs Langlauf trainieren und Lasse Viren oder Juha Väätäinen oder alle beide werden wollen. Ich nicht. Ich bin altklug und faul und liege auf unserem Steg in der Sonne und lese Ray Bradbury und Arthur C. Clarke, und Svartviken und Umgebung liegen nicht auf der Erde, sondern auf dem Planeten Klaxon KX 380, dies ist das Ende der Kindheit, die Welt stürzt ein, wer weiß, was für Wesen in den anderen kleinen Häusern rund um den See hausen, wir kennen doch fast niemanden, grüßen nur
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