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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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steif und desinteressiert, wenn wir uns an der Kreuzung begegnen, an der die fahrenden Lebensmittelhändler halten, und in diesen letzten Sommern, wenn ich mit Leenis geflochtenem Einkaufskorb an den Briefkästen stehe und auf den Verkaufswagen warte, sehe ich durch die Ritzen im Geäst der Laubbäume, wie er sich in Todesstille und bedrohlich auf der Straße nähert, die am Feldrand entlangläuft. Immer näher kommt er, der Verkaufswagen, aber kein Mucks dringt an mein Ohr, ich höre nur die trockenen Espen im Wind rascheln und sehe vor mir, dass der Wagen von Weltraumwesen gekapert wurde, die eine Friedensbotschaft überbringen, aber leider mit Klumpfuß, Hörnern und Schwanz ausgestattet sind, oder es ist noch schlimmer, viel, viel schlimmer, denn in diesem Verkaufswagen befindet sich ein irrer Massenmörder amerikanischen Zuschnitts, einer von der Sorte, über die Truman Capote und andere häufig schreiben. Denn inzwischen leihe ich mir in der Stadtteilbücherei in Tallinge jede Menge Bücher aus, und im Juli fahren Leeni, Henry und ich zur Stadtbücherei in Ruovesi und Virdois, wo es allerdings nichts auf Schwedisch und auch keine Buchhandlungen gibt, so dass ich finnische und englische Musikzeitschriften kaufe, und ich kaufe Bücher, ich lese alles, was mir in den mir geläufigen Sprachen in die Finger kommt, und bin abwechselnd aufgewühlt und aufgeregt und aufgeschreckt: Es gelingt mir nie, meine Gefühle in Worte zu fassen, die ich in mir trage, zu fassen bekomme ich nur dieses Gefühl von auf , davon, dass es in meinem Inneren kribbelt. Und ich fahre noch immer nach Svartviken hinaus, ein paar Sommer noch fahre ich dorthin, wenn ich nach meinem Ferienjob frei habe. Aber ich bin ungeduldig geworden, ich genieße es nicht mehr, jeden Nachmittag um drei auf der Südseite der Bucht den Binnenseedampfer s/s Jäminki vorübergleiten zu sehen. Viele Jahre habe ich diesen Moment als pure Magie erlebt: aus anderthalb Kilometern Entfernung den Rauch aus dem Schornstein der Jäminki aufsteigen zu sehen, den Bruchteil einer Sekunde, bevor das traurig tutende Geräusch das Nordufer erreicht, den Dampfer weiter über das Wasser gleiten und hinter der Landzunge Angervonniemi verschwinden zu sehen und zu wissen, dass er auf dem Weg nach Tammerfors ist, zu einer richtigen Stadt mit Straßen, Geschäften und Cafés, während man selbst in einem Sommerhaus an dieser Svartviken genannten Bucht bleibt und versucht, unter Weltraumwesen und amerikanischen Massenmördern zu überleben. So habe ich es empfunden, wie ein etwas beängstigendes, aber auch schönes Märchen, aber jetzt ist Schluss mit dem Märchengefühl, jetzt klagt die Dampfpfeife der Jäminki darüber, dass die Jahre bereits schneller vergehen, und ich werde daran erinnert, dass das Leben gelebt werden will, und das letzte Mal fahre ich nicht mit Henry und Leeni nach Svartviken, stattdessen fahre ich an einem Augustwochenende mit Eva Mansnerus hin, und wir haben uns den Audi ihres Vaters geliehen, und Eva fährt, denn ich habe noch keinen Führerschein, ich will mich gerade erst in der Fahrschule anmelden. Aber bis dahin ist es noch eine Weile, dazu kommt es später, als auch Tallinge dabei ist, für uns alle ein abgeschlossenes Kapitel zu werden, dazu kommt es, als Eva einen Trauerfall in der Familie zu beklagen hat und ich selbst bereits – allerdings noch völlig ahnungslos – kurz davorstehe, etwas zu erfahren. Noch ist also Zeit, noch bin ich auf dem See und lausche der Stille und sehe die Sonne hinter dem Hof Angervonniemi untergehen, noch sitze ich mit dem Ohr am Transistorradio und höre Programme wie Papperlapop und Musikbox und lerne eine Menge finnischer Liedzeilen auswendig, Zeilen wie Vater ging nach Schweden, Mutter flog in den Himmel und Wir gingen balgend in die Küche, kamen rückwärts in den Flur und Zwei flogen übers Kuckucksnest, ich genau wie sie , und in diesen Jahren passiert etwas mit mir. Sicher, ich bin eigentlich immer lieber allein, aber es geht noch um etwas anderes, wodurch Pete Everi und ich uns immer besser verstehen und meine Klassenkamerden in der SGT und ich immer schlechter. Ich nehme an, dass ich es ohnehin in mir gehabt hätte, ich nehme an, dass ich es von Leeni und Raili und Meeri und all den anderen finnischen Verwandten mütterlicherseits hatte. Aber ich weiß, dass Svartviken – aber wen täusche ich eigentlich, Mustalahti heißt der Ort natürlich – alles beschleunigte, so dass es, als ich anfing, Bücher und

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