Geh nicht einsam in die Nacht
rasiert und gepflegt in die Stadt, um an der Demonstration der Arbeiterbewegung teilzunehmen. Göran Mansnerus dagegen, wusste Eva einmal zu erzählen, als sie ihre Eltern mehr als sonst leid war, hatte lange einem Zirkel reicher Waldbesitzer angehört, die sich am 1. Mai traditionell zu einem Heringsfrühstück im Savoy trafen und anschließend rechtzeitig zur nördlichen Esplanade wankten, um mit ihren Zigarren die roten Ballons der vorbeiziehenden Arbeiter platzen zu lassen.
* * *
My suburbia floating by, warehouses and factories
All things grey and angular, for years on end
The icy windows, damp smell of wool
The scent of sand and perfume every spring
And this my longing that’s gone out to you
For years on end now
A little nod from you and I would do so fine
This is my postcard sent from number 49
(F. K. Loman)
Ich habe recht wenige und vage Erinnerungen daran, wie wir zu dritt bei Eva oder bei den Everis im Stationsvägen saßen. Und bei uns zu Hause saßen wir so gut wie nie. Es ergab sich einfach so, signalisierte vielleicht aber auch, dass ich trotz allem immer der Gast war, der Außenstehende, der Überschüssige.
Fast alle intensiven Bilder stammen von der Insel Aspholm. Dennoch werde ich einige Begebenheiten aufzeichnen, die sich in Tallinge abgespielt haben. Es handelt sich um scheinbar belanglose Episoden, die jedoch weniger belanglos wirken, wenn man, wie ich, weiß, was später passierte.
Kurz vor Weihnachten 1977 sprach ich zum ersten Mal mit Adriana Mansnerus. Es war Mitternacht, und Pete, Eva und ich, die wir in der Lebensphase waren, in der man großen Wert darauf legt, alle Familienfeierlichkeiten zu ignorieren, waren in Evas Zimmer in eine philosophische Diskussion vertieft.
Ich wusste, dass Adriana den ganzen Dezember über in Tallinge gewohnt hatte, aber man sah sie fast nie. Sie blieb stur auf ihrem Zimmer, aß sogar da oben. Bevor wir anderen uns an den Tisch setzten, brachte ihre Mutter ihr ein Tablett hinauf. Ich aß in jenem Herbst ziemlich oft bei Familie Mansnerus.
An jenem Abend war mein Mund vom vielen Reden, dem vielen Tee und allen Zigaretten, die ich am offenen Fenster stehend, das zu dem verschneiten Garten hinausging, geraucht hatte, völlig ausgedörrt. Zwei Wochen zuvor hatte ich am selben Fenster gestanden und geraucht und Adriana durch den Garten heimkehren sehen. Sie war hinter der Edeltanne stehen geblieben, hatte einen bereits fertigen Joint herausgezogen und ihn angezündet. Ihre intensiven Züge hatten mir verraten, dass es keine normale Zigarette war. Eva und Pete hatten auf Evas Bettkante gesessen und sich liebevoll gekabbelt, und ich hatte ihnen nichts davon gesagt. Ich war stehen geblieben und hatte schweigend Adriana im Garten beobachtet. Sie hatte eine Lederjacke und einen kurzen schwarzen Rock und dünne Nylonstrümpfe getragen, obwohl es bereits eisigkalter Dezember war. Es war eine windige und klare Nacht mit einem fast vollen Mond gewesen, und ich hatte Adriana lüstern beim Rauchen beobachtet. Sie war seltsam, aber auch sehr attraktiv. Nun, einige Wochen später, schlich ich mich möglichst leise die Treppe hinunter. Göran und Catherine lagen schon im Bett, und ich wollte nur ein Glas Wasser trinken, sonst nichts.
Am Küchentisch saß Adriana, trank Kaffee und rauchte, sie trug eine Jeans und einen dicken, marineblauen Pullover. Sie war barfuß, und ihre langen kastanienbraunen Haare waren zu einem schlampigen und strähnigen Dutt hochgesteckt. Ich ging zum Wasserhahn, öffnete die Schranktür darüber und tastete nach einem Trinkglas. Sie beobachtete mich unablässig.
»Hallo, du bist also auch noch auf«, sagte ich vor allem, um höflich zu sein, und erwartete im Grunde nicht, dass sie mir antworten würde.
»Noch?«, erwiderte Adriana lachend, ihre Stimme war ein wenig brüchig. »Ich bin gerade erst aufgestanden.«
»Tja, du«, sagte ich dümmlich. »Schön für dich.«
Adrianas Blick schüchterte mich ein wenig ein. Er war nicht unfreundlich, aber desinteressiert, leer. Ich hatte das Gefühl, gar nicht da zu sein, obwohl sie nachweislich mit mir sprach.
»Was haben wir heute für ein Datum?«, fragte sie.
»Den zwanzigsten«, antwortete ich und warf einen Blick auf die Küchenuhr, auf der es zwei nach zwölf war. »Warte … jetzt ist schon der einundzwanzigste!«
»Wintersonnenwende«, sagte Adriana. »Bald ist Weihnachten. Jetzt bleiben nur noch gut dreißig Jahre.«
»Wie bitte?«, sagte ich. »Dreißig Jahre bis
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