Geh nicht einsam in die Nacht
beschlossen, zu Fuß zu gehen, statt das Auto oder die Straßenbahn zu nehmen, und mitten auf der Brücke war er einem ihm entgegenkommenden Demonstrationszug der Linken gegen die EWG begegnet. Und in diesem Zug sah er, als er sich an die eiskalte Steinbrücke lehnte, um die Demonstranten vorbeiziehen zu lassen, zahlreiche Menschen mitgehen, die er kannte, sowohl frühere Gegner als auch frühere Freunde. Da waren Eetu Wacklin und Kaarina Aalto, beide hatten in der Jugend zur selben Gang gehört wie Manner. Da waren Risto Meriläinen und Juha Everi, zwei Jugendliche, die ihm bei seinem ersten Wahlkampf geholfen hatten, als Erwachsene jedoch weit nach links gerückt waren. Dort ging der frühere Popmanager und Plattenhändler Stenka Waenerberg, und neben ihm demonstrierte eine Frau. Es war eine Frau, die Manner vielleicht mehr bedeutete als jede andere, mit der er zusammen gewesen war, einschließlich, bekannte er mir gegenüber jetzt, viel später, jener Carita, mit der er zu jener Zeit verheiratet war und die gerade seine zweite Tochter zur Welt gebracht hatte. Und diese Frau, ergänzte Manner, war ein zerbrechlicher und sensibler Mensch, der sich vor Gestalten wie Waenerberg besser gehütet hätte wie vor der Pest. Manner hatte rasch den Kragen seines Frühlingsmantels hochgeschlagen und den Schal so hochgezogen, dass er die untere Hälfte des Gesichts verdeckte. Er war eine Person des öffentlichen Lebens und eine Zielscheibe der Radikalen, außerdem hatten die bekannten Gesichter ein Chaos von Gefühlen in ihm aufgewirbelt: Er war seltsam ergriffen gewesen.
Der Augenblick, auf den ich so lange gewartet hatte, war gekommen.
»Diese Frau«, sagte ich, »war das Adriana Mansnerus?«
Es ist ein Bild, aber in diesem Fall ist es fast wörtlich zu verstehen: Manner erstarrte auf seinem Stuhl zu einer Salzsäule. Es wurde vollkommen still im Raum. Ich saß dem Fenster und dem Balkon zugewandt und blickte auf das Wasser der Kronbergsfjärden hinaus. Das Morgengrauen rückte bereits näher, genau wie bei meinem letzten Besuch bei Manner. Nach und nach sah ich die Insel Sveaborg und ihre Gebäude aus der Dunkelheit auftauchen. Nach einer langen Pause sagte Manner:
»Du überraschst mich.«
Ich konnte seinen Tonfall nicht deuten, wusste anfangs nicht, ob ich seine Bemerkung als amüsiert, interessiert oder bedrohlich auffassen sollte. Ich beschloss, in die Offensive zu gehen.
»Ich weiß, mit wem du gesungen hast, Jone. Ich weiß, dass ihr eine Platte aufgenommen habt. Warum sprichst du nie darüber?«
Wieder dieses Schweigen. Und ein misstrauischer und unerträglich harter Ausdruck in Manners Gesicht, eine Art fighting face, das ich an ihm nie zuvor gesehen hatte. Trotzdem kam es mir bekannt vor. Plötzlich blitzte es in mir auf: Klasu, Ride und Jami auf dem Rosari und was in ihnen geschah, sobald jemand sie auch nur ein bisschen bedrohte oder herausforderte.
»Worauf willst du hinaus, Frank?«
Ich tat etwas Lächerliches, was ich niemals getan hätte, wenn ich nüchtern gewesen wäre. Aber das war ich nun einmal nicht. Außerdem rührte mich das Tageslicht, das da draußen sachte stärker wurde. Und der Leuchtturm auf Sveaborg, dessen rastloser Lichtkegel nun immer mehr verblich. Ich wurde sentimental, ich dachte an all die Jahre, in denen mir mein Leben wie eine absurde Verwechslungskomödie vorgekommen war. Keine Komödie der traditionellen Art, in der Leute durch Türen auftraten und abgingen und einander in Unterwäsche ertappten. Sondern eine Tragikomödie, in der man nie wirklich wusste, wer einem am nächsten stand. Eva und Adriana, Ariel und Leeni und Henry. Ich als Liebhaber von Eva Mansnerus und ich als Jouni Manners Protegé. Ich sang leise vor mich hin:
Älä käy yöhön yksin,
et tiedä mihin siellä törmäät,
et tiedä kenen saaliksi jäät.
Pysy täällä luonani…
»Hör auf damit!«
Manners Gesicht war jetzt wenn möglich noch härter, es war wie aus Stein gemeißelt, und er hatte sich auf seinem Stuhl zusammengekauert und sah aus wie ein zum Sprung ansetzendes Raubtier. Ein paar dahingeworfene Worte Henrys blitzten aus meinem Gedächtnis auf. Was hatte er noch über Manner gesagt? Ein verdammtes Gangmitglied . Meine Besorgnis eskalierte blitzschnell zu lupenreiner Angst. Ich war von knapp durchschnittlicher Körpergröße, schlank und konnte mich nicht schlagen. Manner war groß und kräftig und hatte im Laufe unserer Bekanntschaft mehrfach angedeutet, dass er sich eigentlich besser auf
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