Geh nicht einsam in die Nacht
Terrassgatan?«
»Ja«, antwortete ich, da er nichts weiter sagte. »Meine Tante heißt Meeri.«
»Das kommt hin«, meinte Manner. Er klang fast enttäuscht. »Ich kannte Meeri, sie war eine Freundin von Kaarina Aalto, von der ich dir erzählt habe.« Er seufzte müde, und ich sah ihn vor meinem inneren Auge gereizt den Kopf schütteln, wie er es immer tat, wenn einer seiner Mitarbeiter bei seinen regelmäßigen informellen Besprechungen einen unausgereiften Vorschlag in die Runde warf.
»Du hast dich bewusst an mich gewandt«, wechselte er das Thema, und seine Stimme war wie Eis. Ich nahm an, dass er wieder diesen granitharten Gesichtsausdruck hatte.
»Ja, das stimmt.«
»Warum?«
»Weil ich so wenig weiß. Mein Plan war, dir zu erzählen, wer ich bin, und dich anschließend zum Erzählen zu bringen. Über Dinge, an die du dich erinnerst.«
»Ich erinnere mich an so gut wie nichts.«
»Aber das war nicht alles«, versuchte ich, ihm zu erklären. »Ich wollte auch für dich arbeiten. Ich habe KYVYT seit der ersten Ausgabe gelesen.«
»Jetzt red hier keinen Scheiß, Frank.«
»Ich rede keinen Scheiß. Ich sage nur, wie es ist.«
»Diese Speichelleckerei macht die Sache auch nicht besser. Für Schmeicheleien bin ich nicht empfänglich.«
Und ob du das bist, dachte ich. Ich hatte doch gesehen, wie Manner posierte und sich wie ein Pfau aufplusterte, wenn eine Frau im Metropol oder Tropical zu ihm sagte, er sehe keinen Tag älter aus als dreißig oder dass er gut tanze. Aber ich schwieg und wartete lieber ab, was Manner als Nächstes sagen würde. Er hatte schon mehrfach einen anderen Ton angeschlagen, und ich wusste nicht, ob er nun angerufen hatte, um Frieden zu schließen oder um mich zu bitten, zur Hölle zu fahren.
»Ich habe nicht auf meinen Instinkt gehört«, erklärte er. »Ich fand nämlich die ganze Zeit, dass da … irgendetwas mit dir war. Irgendetwas damit, wie du die Worte beim Schreiben benutzt hast … ach, ich weiß auch nicht. Aber irgendetwas war da.«
»Ich habe mich nicht an dich gewandt, um dich hereinzulegen, Jone«, erwiderte ich. »Aber ich wollte erst … diese Dinge erzählt man keinem Fremden.«
»Ich möchte nicht, dass du mich Jone nennst, Frank. Und ich will darüber nicht reden. Aber eins kann ich dir sagen: Ich wusste, dass Ariel einen Sohn hatte. Er erzählte es mir nicht, als es passierte, und sagte auch nichts in den Jahren, in denen wir zusammen sangen. Ich erfuhr es erst in dem Herbst, in dem er verschwand.«
»Neunundsechzig«, sagte ich. »Da ging ich schon in die Schule.«
»Aber er sagte es nicht so«, fuhr Manner fort. »Er sagte nicht, dass er einen Sohn hatte . Ich erinnere mich nicht genau an seine Worte. Aber er meinte in etwa, dass er ein Kind gezeugt habe, als er sehr jung war, und dass er wisse, wer sein Sohn sei, er sich aber ganz von ihm getrennt habe.«
»Das sind genau die Dinge, die ich wissen will«, sagte ich und hörte, wie eifrig meine Stimme wurde.
»Tut mir leid, Frank. Du hast dich bei mir eingenistet. Das war ein geschickter Schachzug, aber er war falsch. Also ruf mich nicht mehr an. Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben.«
5
ANFANGS GLAUBTE ICH , dass Manner nur Theater spielte. Dass er mich auf die Probe stellen wollte und nicht so wütend war, wie er mir vorkam. Aber ich musste erkennen, dass ich mich geirrt hatte.
Ich befolgte seine Anweisung und rief ihn nicht an. Stattdessen ließ ich ihm meine Vorschläge für Reportagen und Artikel brieflich zukommen. Einige der Ideen gehörten zu den besten, die mir je gekommen waren, da war ich mir absolut sicher. Aber die einzige Antwort, die ich erhielt, war eisiges Schweigen. Es lag mir viel daran, dass alles wieder so war wie vorher, und ich ging in meinen Bemühungen so weit, dass ich eine Reportage auf eigene Kosten verwirklichte: Recherche, Reisen innerhalb Finnlands, Essen mit den Interviewten, alles bezahlte ich aus eigener Tasche. In der Reportage ging es um Menschen überall im Land, Menschen, die mitten in der Hochkonjunktur, mitten im protzigen, neuen Reichtum in Nischen aus Armut und Außenseitertum gefangen waren. Ich widmete dem Projekt mehrere Wochen, und als ich fertig war, fand ich, dass der Text der effektvollste war, den ich bis dahin geschrieben hatte. Ich schickte ihn Manner und seinem zweiten Mann Linnusmäki. Keine Reaktion. Und nicht nur das: Als ich es nicht mehr aushielt, auf eine Antwort Manners zu warten, schickte ich Kopien an die Monatsbeilage von
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