Geh nicht einsam in die Nacht
Geschäftsmann aus Mittelfinnland, er hieß Osmo, und sie hatten sich kennengelernt, als Leeni und ihre Schwester Meeri sich ein Frauenwochende in einem Skihotel gegönnt hatten. Henry war seiner Maj-Britt auf einer Konferenz in Stockholm begegnet, sie war ein bisschen rundlich und ziemlich laut, genau wie er. Henry und Maj-Britt pendelten schon seit einem Jahr über die Ostsee, und Henry wirkte glücklich.
An einem Freitag Anfang Juli war ich bei Jouni Manner eingeladen. Er wohnte am Ufer der Insel Skatudden, an der südöstlichen Seite, in einem der begehrtesten Häuser in dieser Gegend: Die schönsten Häuser dort waren nicht aus leuchtend roten, sondern aus dunklen Backsteinen erbaut worden, und verfügten über verglaste Balkone zum Wasser der Kronbergsfjärden und der Festungsinsel Sveaborg hin.
Manners Wohnung war nicht sonderlich groß, aber geschmackvoll eingerichtet und hatte eine Sauna und ein Kaminzimmer. Er beklagte sich oft über die hohen Unterhaltszahlungen für Kinder und Ex-Frauen, und ich weiß noch, dass ich dachte, dass offenbar dennoch einiges übrig blieb.
Ich war nicht der einzige Gast. Es handelte sich um eine kleine Saunagesellschaft, die Manner ab und zu in wechselnder Besetzung um sich scharte. Diesmal bestand sie aus KYVYT s Besitzern Malmström und Hukio, dem jungen Abgeordneten der Sammlungspartei Borodulin und einem oft in den Schlagzeilen auftauchenden Geschäftsmann namens Purula. Ich traf etwas zu früh ein und begegnete deshalb Manners erster Frau Carita, einer eleganten Brünetten in seinem Alter. Sie war gekommen, um ihre älteste Tochter Suvi abzuholen, die ein paar Tage bei ihrem Vater verbracht hatte. Suvi war ein großes und schmächtiges Mädchen, dunkelhaarig wie ihre Eltern und ziemlich schüchtern. Manner schien sehr an ihr zu hängen.
Als die Gäste eintrafen, stellte Manner mich als »ein richtiges Talent, ein Mann der Zukunft« vor. Es wurde ein angenehmer und langer Abend, erst ging es mit Bier in die Sauna, und danach gab es einen Imbiss zu später Stunde mit ausgesuchten Weinen. Geplant war, den Abend im Nachtclub des Hotel Hesperia fortzusetzen, aber wir brachen niemals dorthin auf. Ich erinnere mich nur noch vage, wie die Nacht verlief, aber auf einmal saß ich als Letzter noch da und sah die Sonne über Hertonäs am anderen Ufer der Bucht aufgehen. Manner und ich waren ziemlich angeschlagen. Er wurde sentimental und sprach darüber, wie hart seine Mutter Elina hatte schuften müssen, um ihn und seinen Bruder Oskari großzuziehen, er erzählte vom Stadtteil Hertonäs, wo sie gewohnt hatten, und von den zugigen und altmodischen Holzhäusern in der Castrénsgatan, in die sie gezogen waren, als Elina nicht mehr genug Geld verdiente. Er sprach über geflickte Kleider und Läuse in den Haaren und Plumpsklos, und ich, der ich in einem Reihenhaus in Tallinge gelebt hatte, fragte mich, ob er nicht ein bisschen übertrieb. Mir fiel auf, dass Manner kein Wort über irgendeinen Vater verlor. Und genauso wenig über seine frühen Jahre als Erwachsener, in denen er auf Tournee gegangen war und eine Platte mit Adriana Mansnerus und Ariel Wahl aufgenommen hatte. Manner stellte seinerseits auch keine Fragen nach meiner Kindheit und meinem familiären Hintergrund. Das tat er nie. Er wusste, dass ich das Kind einer Sprachlehrerin und des Vertriebsleiters einer Sparte des bekannten Konzerns der Familie Gelbkrantz war, denn das hatte ich ihm erzählt, und nichts an Manner deutete darauf hin, dass er mehr wissen wollte.
Manner und ich kamen uns in diesem Hochsommer immer näher, man merkte es an verschiedenen Dingen. Er war längst nicht mehr so reserviert und begann, über persönliche Dinge zu sprechen, über Elinas bevorstehende Pensionierung und ihre schwächelnde Gesundheit, über seine Sehnsucht nach mehr Zeit mit den Töchtern, aber auch über seinen Traum, in die Politik zurückzukehren. Einmal rutschte ihm heraus, dass er während seiner Studienjahre Hobbysänger gewesen war. »Du hast in einem Chor gesungen?«, spielte ich den Unwissenden und hielt mich für schlau. »Nein, mit Freunden«, antwortete er und wechselte rasch das Thema.
Er begann, mir Fragen zu stellen. Er wurde neugierig auf meine Kindheit in Tallinge, und ich erzählte ihm von meinen Pubertätsjahren und dem Rosari und dass ich der Einzige aus der Eigenheimsiedlung gewesen war, der sich dorthin gewagt hatte. »Ich erinnere mich an den Hügel«, sagte Manner, »man konnte ihn von meinem Fenster aus
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