Geh nicht einsam in die Nacht
verlegen. »Du hast ein verdammt gutes Gedächtnis.«
»Die waren gar nicht so dumm«, erklärte Pete. »Hast du jemals … etwas aus ihnen gemacht?«
»Nein. Ich glaube nicht einmal, dass ich sie noch habe.«
Das war gelogen. Ich hatte alles aufbewahrt, jeden Papierschnipsel, jede Zeile.
»Eine verdammte Scheiße, was da mit ihrer Schwester passiert ist«, sagte Pete.
»Da hast du Recht.«
Mir wurde klar, dass er betrunkener war als ich, wir hatten zwar beide noch einen klaren Kopf, aber Pete wurde allmählich sentimental.
»Wenn es passiert wäre, als wir zusammen waren, hätte ich sie trösten können«, sagte er. »Das hat Eva verdammt hart getroffen. Ich wollte ihr helfen, aber von mir wollte sie nichts annehmen, sie hatte mich schon abgehakt.«
So ist sie, dachte ich, sie will alleine zurechtkommen. Pete und ich sprachen jetzt über wichtige Dinge, und zum ersten Mal an diesem Abend spürte ich, dass es unsere alte Freundschaft noch gab. Für einen flüchtigen Moment tauchte der Impuls auf, ihm von jenem Junitag nach meiner Abiturfeier zu erzählen, von Ariel und allem. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Ich nickte mitfühlend zu Petes Erinnerung und schwieg.
Aus dem Abend wurde Nacht. Freunde von uns beiden oder einem von uns landeten an unserem Tisch, um eine Weile zu plaudern, wodurch es Pete und mir unmöglich gemacht wurde, ein zusammenhängendes Gespräch zu führen. Wir überlegten vage, Squash oder Badminton zu spielen, »um fit zu bleiben«, und zogen irgendwann ins Botta weiter. Während unseres Spaziergangs dorthin sagte Pete plötzlich:
»Ich habe gehört, dass du ein guter Freund von Jouni Manner bist.«
Ich war erstaunt.
»Das ist ein bisschen zu viel gesagt. Aber wir sehen uns des Öfteren. Ich schreibe für KYVYT .« Ich zuckte mit den Schultern und ergänzte: »Ich weiß nicht, ob wir Freunde sind. Vielleicht.«
»Wie ist er denn so?«
Ich dachte nach.
»Speziell«, antwortete ich schließlich. »Und mit allen Wassern gewaschen. Man muss bei ihm auf der Hut sein.«
Anschließend dachte ich an die vielen Chancen, die Manner mir gegeben hatte, an all die Essenseinladungen und die Juliwoche in Berlin ohne die Forderung einer Gegenleistung. Ich wiegelte ab:
»Aber er ist auch nett. Großzügig.«
»Juha hat ihm bei seinem ersten Wahlkampf geholfen«, meinte Pete nachdenklich. »Das war, bevor Juha Stalinist wurde, er ging damals noch in die Schule. Wusstest du übrigens, dass Manner in Tallinge gewohnt hat? In der Nybogatan 3.«
»Wir haben darüber gesprochen«, erwiderte ich. »Das von Juha hat er auch erwähnt. Und dass er Juha Jahre später bei einer Demo gesehen hat.«
Ich weiß noch, dass wir die menschenleere Straße hinabgingen, und ich glaubte, Pete hätte das Gespräch auf Manner gebracht, um mich durch die Blume zu bitten, meine Kontakte zu nutzen, um einem alten Kumpel, der nach Helsingfors zurückkehrte, einen Job zu verschaffen. Und vielleicht stimmte das auch. Zumindest zum Teil.
* * *
Dann kam der Abend, an dem ich im Café des Hotel President einen Interviewpartner treffen sollte, zu früh eintraf und Eva und Lindy zusammensitzen und über den Tisch hinweg Händchen halten sah. Sie ließen einander wie von der Tarantel gestochen los, als sie mich sahen, aber es war schon zu spät. Mir war klar, warum sie sich ausgerechnet dort trafen: Das Tavastia lag nur einen Katzensprung entfernt, und The Mellowboys sollten dort am selben Abend spielen. Das Konzert war ausverkauft, aber Eva stand, wie sich zeigte, auf der Gästeliste.
Ich weiß nicht, warum ich so enttäuscht war, immerhin hatte Eva mir oft genug gezeigt, dass sie machte, was sie wollte. Lindy hatte sie allerdings lange nicht mehr erwähnt, stattdessen angekündigt, mit Laine vor dem Sommer Schluss machen und sich eine eigene Wohnung suchen zu wollen. Und am Vorabend waren Eva und ich mit Jouni Manner und seiner Freundin Sirpa essen gegangen. Es war Manners Idee gewesen – »ich muss doch sehen, wie sie ist, als ich sie das letzte Mal gesehen habe, ging sie noch in die Grundschule« –, und er hatte auch die Rechnung übernommen. Wir aßen Rehrücken und teilten uns zwei obszön teure Flaschen Bordeaux, und Eva und Sirpa verstanden sich gut: Sie waren fast gleichaltrig. Am nächsten Morgen, als ich eine Besprechung mit Manner hatte und wir bei einem Espresso zunächst plauderten, klang seine Stimme spürbar weich, als er sagte: »Sie ähnelt Addi wirklich sehr. Da ist etwas an ihren Bewegungen und
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