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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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lakonisch »tja, das lässt sich ja dann wohl nicht ändern«. Ich fragte, ob sie trotzdem reisen wolle, und sie antwortete ja. Ich wünschte ihr viel Glück, aber sie sagte nur »Tschüss« und legte auf.
    Zwei Wochen später bekam ich einen langen, in Marseille frankierten, handgeschriebenen Brief, der auf Seite vier einen Rotweinfleck aufwies und schwach nach Evas Parfüm roch. Sie schrieb, dass sie nicht begreife, wie ich sie auf eine so billige Art im Stich habe lassen können, und dass ich ein kleingeistiger und rachsüchtiger Mensch sei. Ich wurde genauso wütend wie sie und schrieb ihr, sie habe viele Jahre mit mir gespielt. Sie habe mich immer wieder hintergangen, aber trotzdem hätte ich von der Reise nicht Abstand genommen, um mich zu rächen, sondern weil ich wirklich arbeiten müsse, ich verfügte nämlich nicht über die finanziellen Rücklagen der Familien Boehm und Mansnerus.
    Im Grunde wollte ich das nicht schreiben. Ich wollte ihr schreiben, dass sie nicht neben mir liegen konnte, so nahe, dass wir uns fast berührten, in einem hellroten Bikini und mit Schweißperlen auf dem Bauch, um sich dann eine Zukunft auszumalen ohne Chaos mit Sex und so . Ich wollte schreiben: »Ich bin ein Mann, und ich ticke nicht wie du.« Das wäre ehrlich, aber auch dumm gewesen, denn Eva tickte haargenau wie ein Mann: Sie nahm sich einfach, was sie brauchte.
    * * *
    Ein weiteres Mal saß ich an einem Sommerabend bei Jouni Manner und blickte auf die Kronbergsfjärden hinaus, es war Ende Juli, und die Bucht lag diesmal spiegelglatt.
    Der Sommer hatte sich ähnlich gestaltet wie der vorige: Statt mit Eva durch Europa zu reisen, hatte ich mich des Öfteren mit Manner getroffen. Es gab jedoch einen entscheidenden Unterschied. Manner wohnte mittlerweile mit Sirpa zusammen und hatte kein Interesse am Metropol und ähnlichen Lokalen. Die beiden waren schon verlobt, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Diplomkauffrau, das ehemalige Fotomodell Sirpa Ala-Vaino, die dritte Frau Manner werden würde.
    Ich war mehrmals bei ihnen zum Essen eingeladen gewesen, außerdem waren wir gemeinsam ausgegangen. Meistens waren nur die beiden und ich als Dritter im Bunde zusammen gewesen. Gelegentlich kam es dabei zu Spannungen. Sirpa war nur vier Jahre älter als ich, aber fast zwölf Jahre jünger als Manner, so dass wir beide uns an dieselben Popsongs und Filme erinnerten, während Manner einer anderen Generation angehörte. So unterhielten Sirpa und ich uns einmal über die Brüder Jordache in der alten Fernsehserie Reich und Arm , fast eine Stunde redeten wir exaltiert darüber und kamen auf Die Onedin-Linie und Soap – Trautes Heim und eine Menge anderer Serien zu sprechen, und als die Stunde verstrichen war, sah Manner aus wie eine Gewitterwolke.
    Sirpas ständige Anwesenheit bildete eine Beschränkung, denn so kam ich nie dazu, Fragen zu den alten Zeiten und zu Ariel zu stellen. Wenn ich in Sirpas Gegenwart den kleinsten Ansatz machte, über Manners Vergangenheit zu sprechen, schnitt er augenblicklich ein anderes Thema an. Und wenn wir allein waren, verhielt es sich kaum anders. Manner wusste seit mittlerweile einem Jahr, dass ich Ariel Wahls Sohn war, aber wir hatten niemals eingehender darüber gesprochen. Ich hatte gefragt, er war mir ausgewichen. Ein paar widerwillig wiedergegebene Augenblicke, ein paar amüsante Anekdoten über Ariels Ungeschicklichkeit, das war alles.
    Doch nun war Sirpa übers Wochenende zum Sommerhaus einer Freundin gefahren, das Essen kam wie im Sommer zuvor von einer Cateringfirma, und der gläserne Serviertisch war mit mehr und teureren Flaschen beladen als je zuvor. »Heute Abend werde ich ihn zum Reden bringen«, hatte ich beim Eintreten gedacht, aber beim Essen sprach Manner nur über Gorbatschow und Reagan und alle Möglichkeiten, die sich durch die weltpolitische Lage eröffneten. Er hatte ebenso kühne Visionen wie eh und je und holte gedanklich weit aus, aber ich war dennoch enttäuscht. Bis Manner von seinem Stuhl aufstand, sein Weinglas nahm, zur Couchgarnitur im Wohnzimmer nickte und sagte:
    »Und, wollen wir sie uns anhören?«
    »Was anhören?«
    »Die Platte. Ariels Lied.«
    Bevor Manner die Single auflegte, erklärte er, sie sei sein einziges Exemplar, aber ich könne sie haben, wenn ich wolle. Ich erwiderte, dass ich schon eine besitze. Er erkundigte sich, wo ich sie gefunden habe, und ich antwortete: »Eva.«
    Wir lauschten schweigend, und ich dachte wieder: Je öfter ich Geh nicht

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