Geh nicht einsam in die Nacht
jeder meiner Versuche, Kontakt zu diesen linken Künstlern aufzunehmen, endete mit Peinlichkeiten und Demütigungen.
Als ich der Dichterin Ritva Humboldt ein Kompliment für ihre sensible Gedichtsuite »Über die Liebe der Arbeiterin« machen wollte, entgegnete sie: »Spar dir deine Schmeicheleien, Loman. Wenn ich Frischfleisch brauche, besorge ich es mir selbst.«
Und als ich den Begriff Zeitgeist mit dem gefeierten Romancier Jukka-Pekka Raappana diskutieren wollte, blinzelte er mich betrunken an und sagte: »Deine Generation hat ein großes Problem, Frank. Nein, zwei! Ihr könnt weder ordentlich saufen noch richtig vögeln, ihr habt keinen Mumm.« Das machte mich so wütend, dass ich reichlich grob war, als ich hinterher mit Natalie schlief, so dass sie mir in der Dunkelheit zuflüsterte, es sei schön gewesen, aber manchmal bekomme sie auch ein wenig Angst vor mir.
Jouni Manner und ich sprachen in dieser Zeit nur selten über wichtige Dinge, aber in der Woche nach Raapanas Kommentar erzählte ich ihm von meinen Problemen mit den Neonröhren. Manner und ich hatten uns pflichtschuldig zu einem Arbeitsessen getroffen und über KYVYT gesprochen, die Gefahr lief, eingestellt zu werden, und uns beide nicht mehr interessierte. Als wir zum Kaffee gekommen waren, wechselte ich das Thema und beschrieb meine Misserfolge bei Raappana und anderen.
»Das wundert mich nicht«, erklärte Manner lächelnd. Während meines Berichts hatte er mehrfach laut gelacht, was durchaus meine Absicht gewesen war: Ich hatte die komischen Aspekte betont.
»Und wieso nicht?«, wollte ich wissen.
»Weil du im Grunde deines Herzens ein richtiges Bürgersöhnchen bist«, antwortete Manner leichthin. »Das bist du immer gewesen, und das wirst du auch immer bleiben.«
»Das musst du gerade sagen«, erwiderte ich so ironisch, wie ich nur konnte.
»Jetzt werd nicht gleich sauer«, erwiderte Manner. »Das ist etwas anderes. Ich mag vielleicht meine Ideologie ein bisschen revidiert haben, aber darum geht es nicht. Ansichten und Fakten spielen eine viel kleinere Rolle, als die Leute glauben. Ist es dir noch nie passiert, dass du einen Menschen verabscheust, der in allen wichtigen Fragen genauso denkt wie du, während du eine unerklärliche Sympathie für eine Person empfindest, deren Ansichten du hasst?«
»Genau das meine ich doch«, sagte ich. »Ich wähle immer links. Warum mag ich diese Leute dann nicht? Und warum mögen sie mich nicht?«
»Weil es bei solchen Sympathien um Chemie und nicht ums Wahlverhalten geht, Frank. Du kannst in deinen Artikeln noch so altruistische Ansichten vertreten, aber privat hast du eine schlüpfrige Moral. Ein Linker mit einem Funken Intuition braucht dir nur einmal zu begegnen, um das zu kapieren. Und jeder, der eine schlüpfrige Privatmoral hat, gehört in den Augen der Linken per Definition zum Bürgertum.«
Manner wählte seine Worte stets voller Sorgfalt: dass er nun das Adjektiv schlüpfrig in den Mund genommen hatte, verbitterte mich.
»Soll ich so deinen Parteiwechsel analysieren?«, fragte ich. »Du hast die politische Farbe gewechselt, weil du endlich deine eigene Schlüpfrigkeit erkannt hast?«
»Jetzt werd nicht gleich wütend«, antwortete Manner. »Und moralisier hier nicht unnötig herum. Du musst lernen, die Ideologien zu durchschauen und stattdessen die Menschen zu sehen. Zum Teufel, Frank, die Menschen vertreten doch nicht die Ideologien, die sie zu vertreten glauben. Denk doch nur mal an diese ganzen unversöhnlichen und strafenden Christen. Das tragende Element ihrer Religion ist die Vergebung, aber ausgerechnet dazu sind sie nicht fähig. Oder denk an die Europäer, die an den linken Rand gerückt sind, die RAF , Brigate Rosse, unsere Stalinisten, die schwedischen Maoisten. Sie glaubten mit Sicherheit, dass sie nur Gutes wollten, und sie glaubten auch, das genaue Gegenteil ihrer faschistischen Väter und Großväter zu sein. Aber studiert man ihren Fanatismus, ihre hehren Worte und ihren fehlenden Sinn für Humor, springen einem die Ähnlichkeiten mit dem Großvater förmlich ins Auge. Der gewöhnliche Faschist war kein Mussolini oder Hitler, sondern ein strenger, ernster Mann, den Chaos und Willkür ankotzten und der in seinem Dorf Zucht und Ordnung haben wollte und dachte, der Rechtsextremismus wäre dafür der richtige Weg. Manchmal glauben wir, dass wir das Gegenteil von etwas sind, und sind in Wahrheit nur eine etwas andere Facette dessen, was wir am meisten hassen. Von der
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