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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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gewisser Künstler. Solange sie genügend positive Schlagzeilen liefern, spielt es keine Rolle, wie oft sie mit heruntergelassener Hose erwischt werden. Aber solche Dinge können sich ändern. Abmachungen dieser Art halten nicht ewig.«
    »Oh, mein Gott«, sagte ich matt.
    »Aber du kannst dich glücklich schätzen«, fuhr Manner erbarmungslos fort. »Du solltest nämlich froh sein, dass …« – an dieser Stelle erwähnte er erneut den Namen von Natalies Mann, und ich schauderte – »nicht eifersüchtig ist, denn sonst wäre längst eine Videokamera in einem eurer Hotelzimmer versteckt gewesen. Er könnte es sich leisten, jeden Hoteldirektor dieser Welt zu schmieren.«

8
    MEINE MUTTER LEBTE MIT ihrem Osmo schon seit ein paar Jahren in Jyväskylä. Eigentlich wohnten sie außerhalb der Stadt, in einer Reihenhaussiedlung an einem Seeufer, knappe fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Ich hatte sie dort vier, fünf Mal besucht, ohne mir zu merken, wie das Viertel hieß, und navigierte ausschließlich nach den visuellen Erinnerungen von meinem ersten Besuch, als Leeni mich mit ihrem grauen Kadett vom Bahnhof abgeholt hatte.
    Ich hatte Weihnachten mit ihnen gefeiert und sie einmal Ostern besucht, als auch Großmutter Raili da war, und darüber hinaus während meines Urlaubs im Juli und zu einem Krebsessen im August. Ich hatte auf ihrem Hinterhof gesessen, einer schmalen, aber gepflegten Parzelle zum See hin, und Koteletts gegrillt, Rosé getrunken und mich über Wichtiges und Unwichtiges unterhalten, von der Perestrojka und der Wall Street bis zu den Fluktuationen im Fischbestand des Sees Päijänne. Wir unterhielten uns ungern über Dinge, die zu persönlich wurden oder über die wir unterschiedlicher Meinung sein konnten, und über das allerschwierigste Thema sprachen wir natürlich nie. Ich wusste nicht, was Leeni Osmo über ihr früheres Leben erzählt und was sie ihm verschwiegen hatte, nahm jedoch an, dass sie sich an die einfache Version von Henry, ihr und mir gehalten hatte. Letztlich war sie es ja gewohnt zu schweigen.
    Osmo ähnelte Henry ein wenig, er war kräftig gebaut und ein bisschen laut und nicht sonderlich elegant, aber sympathisch. Offenbar fühlte Leeni sich von solchen Männern angezogen und sie von ihr. Osmo war nicht nur Geschäftsmann – er war in der Immobilienbranche tätig –, sondern auch eine zentrale Gestalt im Sportleben Jyväskyläs. Bei unseren ersten Begegnungen unternahm er deshalb tapfere Versuche, sich mit mir über das Wohl und Weh der örtlichen Pesäpallo-Mannschaft zu unterhalten, einer finnischen Variante des Baseballs. Das Team hieß Kiri, und Osmo versuchte auch, mit mir über einen, ihm zufolge, legendären Verein in Helsingfors zu sprechen. Ich hatte keine Ahnung, wovon er schwafelte, und er gab schnell auf.
    Als Leeni noch allein lebte, hatte ich ihr natürlich einige Male gesagt, dass ich irgendwann einmal über Ariel, sie und das seltsame Netz sprechen wollte, in dem ich eingesponnen leben musste, nur weil Henry und sie beschlossen hatten, achtzehn Jahre lang zu schweigen. Bei einem Sonntagsessen in ihrer Wohnung hatte ich sogar vorgeschlagen, sofort darüber zu reden, ich sagte, ich wolle ihre Version hören, wolle wissen, was ihre Erinnerungen an Ariel seien. »Aber sicher, lass uns reden«, hatte Leeni damals geantwortet, »selbstverständlich hast du ein Recht darauf, Bescheid zu wissen.« Aber bei diesen Worten hatte sie so gepeinigt und geradezu angeekelt ausgesehen – ich hatte Scham in ihren Augen erkannt, und wir waren minutenlang stumm geblieben –, dass ich die verfahrene Situation schließlich mit den Worten löste: »Schon gut, wir reden ein anderes Mal darüber.« Zu diesem anderen Mal war es jedoch nie gekommen, und das, obwohl es bei meinen Besuchen in Jyväskylä immer einen Moment gab, in dem Osmo angeblich etwas im Büro von Kiri zu erledigen hatte oder etwas Unaufschiebbares im Hobbykeller schreinern musste. Wenn Osmo Leeni und mich allein ließ, damit wir unsere Mutter-und-Sohn-Zeit bekamen, wurden wir meistens verlegen und wussten nicht, womit wir die ohrenbetäubende Stille füllen sollten.
    Doch diesmal war es anders. Es war Vorsommer, und wir saßen am See. Der Rasen erstreckte sich bis zur Wasserlinie, und da kein Wind ging, hatten wir den Grill und die Gartenmöbel dorthin getragen. Osmo war in die Stadt gefahren, um irgendetwas für Kiri zu erledigen, und Leeni und ich saßen auf braungebeizten Gartenstühlen und nippten an unseren

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