Geh nicht einsam in die Nacht
ältere Tochter von Göran und Catherine Mansnerus mit Ariel Wahl und Jouni Manner gesungen hatte – ich hatte ihn gefragt, und Henry hatte es bestätigt, dagegen war ihm nicht bewusst gewesen, dass das Trio eine Platte aufgenommen hatte –, und nun erkannte ich zudem, dass die Gezwungenheit, die seinerzeit jede Begegnung zwischen Leeni und Henry und den Eltern Mansnerus geprägt hatte, von Henry ausgegangen war, und nur von ihm.
»Wenn du möchtest, kann ich dir die Platte besorgen«, sagte ich.
Leeni schauderte.
»Nein, lieber nicht«, meinte sie.
Wir hörten bereits Osmos schwere und energische Schritte, sie ließen den Kies knistern, als er den schmalen Weg zum Ufer hinunterging. Als er uns erreichte, saßen Leeni und ich in unsere Decken gehüllt und blickten auf den See hinaus.
»Mutter und Sohn«, sagte Osmo freundlich, »habt ihr es euch gut gehen lassen?«
»Wir haben uns nett unterhalten«, antwortete Leeni, und ich nickte und ergänzte: »Es ist ein schöner Abend.«
»Für meinen Geschmack ein bisschen grau«, wandte Osmo ein. »Ich habe dir eine Kiri-Mütze mitgebracht, Frank. Hier!«
Er warf mir eine blauweiße Schirmmütze zu, und ich fing sie und versuchte, hocherfreut auszusehen.
»Danke.«
»Möchtest du einen Schluck Wein, Liebling?«, fragte Leeni.
»Gern«, sagte Osmo, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Wange.
Auf dem Heimweg hatte ich eine Eingebung und nahm die Straße über Svartviken, es war kein großer Umweg. Ich war seit fast zehn Jahren nicht mehr dort gewesen. Die Landstraße gab es noch, und sie war genauso kurvig und hügelig und unasphaltiert wie früher. Aber sie hatte ausgedient: Etwas weiter nördlich führte eine schnurgerade und pechschwarze neue Asphalttrasse über Turu nach Tammerfors. Ich entschied mich für die staubende Schotterpiste und fuhr an den Feldrändern und blumenbetupften Böschungen vorbei, die mir einst so vertraut gewesen waren. Die Laubkronen der Bäume waren noch vorsommerlich zart ergrünt, kleine Seen glitzerten wie hinter einem dünnen Vorhang. Ich bog Richtung Hiitelä ab und fuhr durch den dichten Nadelwald, der zwischen der alten Landstraße und dem Hof lag. Als ich die Felder Hiiteläs erreichte, sah ich, dass der Hof verlassen lag: Das Hauptgebäude war verriegelt, und in der Scheune gähnten mehrere Fensteröffnungen leer.
Auf den Nachbarparzellen thronten neu erbaute Holzhäuschen, aber auf unserem früheren Grundstück sah es noch fast genauso aus wie früher, nur älter und abgenutzter. Die Bretterverkleidung des Häuschens war eher grau als grün, an manchen Stellen war die Farbe fast vollständig abgeblättert. Auch die Dachpappe hatte einen grauschwarzen Ton bekommen, und die Eisenluke zu dem Räucherofen, den Kuokkanen gebaut hatte, war rostbraun. Der Bootssteg sah klappriger aus als je zuvor, war aber nicht so lang wie in meiner Erinnerung. Alle Entfernungen waren im Vergleich zu früher geschrumpft. Die Insel Lilla ön lag unserem Ufer näher, als sie sollte, und Svartviken erinnerte eher an eine kleine als an eine weite Bucht. Gewachsen war allein das Erlenwäldchen am Ufer. Es war zu einem Gehölz geworden, fast einem Wald, die Erlen schienen bereit zu sein, den ganzen See einzunehmen.
Ich blieb mindestens eine Stunde auf dem Grundstück, vielleicht auch länger. Ich hatte Leeni und Henry in der hintersten Ecke im verborgensten Winkel meiner Erinnerung begraben, aber unser Gespräch hatte mir Lust auf mehr gemacht: Ich spürte, dass ich noch einmal mit Leeni sprechen, noch tiefer eindringen wollte. Also ging ich auf dem Grundstück umher und suchte Spuren von Leeni, Henry und mir. Sie waren leicht zu finden. Als ich durch das Fenster zum Waschraum der Sauna schaute, erblickte ich auf einem niedrigen Hocker eine Flasche Timotej und auf der Fensterbank eine rissige Kiefernlatschenseife auf einem altvertrauten Porzellanteller mit grüner Borte. Als ich durch das Fenster zu meinem alten Schlafzimmer blickte, lag da immer noch mein alter Tischtennisschläger auf dem Nachttisch, ich erkannte das geriffelte blaue Gummi. Nach uns hatte anscheinend niemand mehr das Sommerhaus mieten wollen.
Aber ich sah nicht nur Leeni und Henry. Als ich durch das Fenster in die dunkle Sauna blickte, sah ich Eva Mansnerus vor mir. Wie in einem Blitzlicht tauchte das Bild auf, wie wir uns dort liebten, Eva auf der obersten Bank saß und sich zurücklehnte und genoss und mir diesen Blick zuwarf, der verzückt und schamlos und schüchtern
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