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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Jouni und Adriana Dylans lange Lieder monoton und langweilig fanden. Sie schlugen leichtgewichtigere Varianten vor, Stücke wie It’s All Over Now, Baby Blue und Boots Of Spanish Leather . Der Kompromiss lautete Girl From The North Country , das konnten sie als eine Serenade der Männer an Adriana singen, eine Serenade, auf die sie antwortete, indem sie sich selbst definierte: Sie sang I once was a true love of yours statt she once was a true love of mine .
    So arbeiteten sie sich vor. Als Ariel Universal Soldier spielen wollte, legten die anderen ihr Veto ein, sie fanden das Lied rührselig. Als Adriana den schwedischen Liedermacher Cornelis Vreeswijk entdeckt und den Kleiner Lasse-Blues singen wollte, erklärte Jouni, er könne auf Schwedisch nicht so schnell singen und im Grunde wolle er am liebsten überhaupt nicht auf Schwedisch singen. Daraufhin einigten sie sich auf die Ballade auf einer Müllhalde und kompensierten Jouni, indem sie Suuret setelit , die finnische Version von Greenback Dollar, sangen, das weder Ariel noch Adriana gefiel. Als France Gall den Grand Prix gewann, schlugen Jouni und Ariel nicht ganz ohne Ironie vor, dass Adriana den Siegertitel als Solonummer singen solle.
    »Das will ich nicht«, sagte Adriana, »ich bin nämlich keine Puppe.«
    Einer der wenigen Songs, auf den sich alle drei einigen konnten, war Paul Simons The Sound Of Silence . Im Laufe des Herbstes gingen sie nach den Proben des Öfteren zum Colombia in der Alexandergatan oder zur Expressobar in Brunnsgården, und schon während sie mit hochgeschlagenen Mantelkragen zum Schutz gegen den rauen und feuchten Wind durch die Straßen gingen, sprachen sie über die Platte, von deren Aufnahme sie träumten. Und dann redeten sie auch über The Sound Of Silence : Sie hatten bereits beschlossen, dass der Song die B-Seite ihrer Single werden sollte, das Lied auf der A-Seite fehlte ihnen allerdings noch. Adriana bedeutete das Stück besonders viel; wenn sie in ihrem Mädchenzimmer stand und auf den herbstlich leeren Hafen und das graumelierte Meer hinaussah, legte sie es immer wieder auf. Sie liebte das Verträumte und Hallende des Lieds, sie fand, dass es schaukelte und schwankte wie ein Boot bei leichtem Seegang, und ganz besonders gefiel ihr der Text der letzten Strophe, er bezauberte und erschreckte sie so, dass sie eine Gänsehaut auf den Armen bekam und winzig kleine Tiere ihr Rückgrat hochkrabbelten:
    And the people bowed and prayed
to the neon God they’d made.
And the sign flashed out its warning
in the words that it was forming.
And the sign said:
»The words of the prophets
are written on the subway walls
and tenement halls
and whisper’d
in the sound
of silence.«
    Auch Ariel hatte begonnen, Lieder mit Texten zu schreiben, die etwas zu sagen versuchten, und teilte Adrianas Liebe zu The Sound Of Silence . Aber im Unterschied zu ihr – und zu Jouni, dessen Englisch sehr gut war – hatte er sich in der Bibliothek von Berghäll heimlich ein Englisch-Schwedisch-Wörterbuch ausleihen und einiges nachschlagen müssen, bis er den Text verstand; Worte wie cobblestone , halo , bowed und tenement sagten ihm nichts. Als er ihn schließlich verstand, lief auch durch seinen Körper ein Schauer.
    Manchmal beschlich Ariel das Gefühl, auf dem besten Weg zu sein, überall im Mittelmaß stecken zu bleiben. Sein Englisch war schlechter als Jounis und Adrianas, er konnte weder Deutsch noch Französisch wie Adriana, und sein Kopf arbeitete nicht so schnell wie Jounis, sein Abiturzeugnis war deutlich schlechter ausgefallen als die seiner Freunde. Seine Gesangsstimme war nicht so rein wie die der anderen, und manchmal wurde er bei den Proben von grauenvollen schwarzen Momenten übermannt, Momenten, in denen er sich plump, hässlich und unbegabt fand. In solchen Augenblicken gab seine Gitarre ihm Sicherheit und war sein einziger Trost: Er wusste, dass er gut spielte, und eines Tages, dachte er, würde er diese E-Gitarre besitzen und auch dieses Instrument beherrschen. Wenn er Lieder schreiben wollte, tauchte jedoch die Unsicherheit wieder auf, das Gefühl von Mangel, Leere, Mittelmaß. Akkorde auszuwählen und spielerisch eine Melodie zu suchen, gelang ihm im Allgemeinen gut, aber wenn er sich dem Text zuwenden wollte, bekam er Probleme. Er wusste nicht, ob er es auf Schwedisch oder Finnisch versuchen sollte, und fand, dass nur Halbgares herauskam, ganz gleich, wie er sich entschied. Meistens schrieb er trotz allem auf Finnisch. Er hörte die

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