Geh nicht einsam in die Nacht
verstummt, als er merkte, dass sein Freund ihm ins Wort zu fallen versuchte.
»Beim Radio«, sagte Jouni. »Nachrichten und Aktuelles.«
»Bist du s-s-sicher?«, sagte Ariel. »Wir haben h-h-hart gearbeitet, um so gut zu werden, wie wir sind. Und was d-denkst du, was Addi dazu sagt?«
»Ich bin mir sicher«, erwiderte Jouni. »Und ich möchte, dass du und ich Freunde bleiben. Aber ich bin weder Sänger noch Musiker. Ich möchte andere Dinge machen. Und Addi kann sagen, was sie will. Mir geht es um dich. Was du meinst.«
Ariel erwiderte nichts. Er beugte sich über seine Gitarre, drehte den Kopf weg und begann, Phrasen und Akkordfolgen aus verschiedenen Songs zu spielen. Auch Jouni blieb stumm. Er nahm an, dass Ariels Stimme bei dem Versuch zu sprechen gezittert hätte. Und mit jedem neuen Satz wäre sein Stottern nur noch schlimmer geworden. Er wollte Ariel nicht noch mehr wehtun. Ein schräger Sonnenstrahl fiel durch das kleine Fenster, er wurde von einem Haus auf der anderen Straßenseite reflektiert. Jouni warf einen Blick auf seine neue Armbanduhr: kurz nach sieben. Sie schwiegen eine Weile, tranken und rauchten, Ariel spielte auf seiner Gitarre. Dann packten sie ihre Sachen zusammen, schlossen ab und gingen zum Bus nach Drumsö. Im Bus sagte Ariel immer noch nichts, starrte nur aus dem Fenster und kraulte von Zeit zu Zeit nervös seinen zotteligen Bart.
Sam Karnow wohnte in der Nähe des Meerufers in einem neu gebauten, zweistöckigen, roten Backsteinhaus. Es gab nur vier Wohnungen darin, und jede verfügte über einen elektrischen Türöffner und eine eigene Garage mit einem lackierten Tor aus hellem Holz. Karnows Wohnung lag in der oberen Etage. Sie war groß, aber asketisch möbliert, es gab viel freie Fläche, und das Gefühl von Geräumigkeit wurde von den wenigen, scheinbar wahllos verteilten Möbeln ultramodernen Zuschnitts und den abstrakten Gemälden und vergrößerten Fotos – Karnows eigenen – an den weißen Steinwänden noch unterstrichen. Ein langgestreckter Balkon verlief parallel zu dem Teil der Wohnung, der nach Norden und zum bewaldeten Ufer hin lag, und auf diesem Balkon verbrachten Jouni und Ariel die erste Stunde nach ihrer Ankunft.
Gekommen waren ungefähr dieselben Gäste wie zu Stenka Waenerbergs Einzugsparty gut zwei Monate zuvor. Es gab vielleicht nicht ganz so viele Prominente, dafür aber mehr unbekannte, aber blendend schöne junge Frauen und Männer als bei Stenka, der natürlich auch da war und eine helle Hose und einen eleganten Anzug mit Pepitamuster trug. Anfangs wich Adriana nicht von seiner Seite und hatte sich bei ihm eingehakt. Sie trug hochhackige Sandalen, einen braunen Wildlederrock und eine lila Bluse. Ihre Beine waren braungebrannt und schlank und passten gut zu dem kurzen Rock, und als sie zusammen mit Stenka auf den Balkon hinaustrat, musste Jouni auf den Hof hinunterschauen, damit sein Herz aufhörte, wild zu pochen.
Der Manager und sein Trio standen eine Weile auf dem Balkon zusammen und machten Konversation. Adriana, Stenka und Jouni redeten, Ariel sagte kein Wort. Es ging vor allem um Adrianas Reise und ihre Erlebnisse. Ihre Freundin und sie waren nie bis Kopenhagen gekommen, sondern nur durch Schweden gereist. Adriana hatte in Göteborg ein Konzert des Liedermachers Cornelis Vreeswijk besucht und war in Stockholm in Nachtclubs gegangen, die Bobbadilla und Manzanilla und so weiter hießen. Während sie erzählte, hatte sie den Arm um Stenkas schwarzweiß karierten Anzugärmel gelegt und warf ihm gelegentlich kurze, glückliche Blicke zu.
Als Adriana ihren Bericht beendet hatte, machte Stenka Vorschläge für den Herbst: Er schlug Auftritte in Helsingfors und Umgebung vor und meinte, dass sie Geduld haben sollten, man wisse nie, noch sei es nicht zu spät für Geh nicht einsam in die Nacht , sie sollten nur an Die Botschaft des Abendwinds denken, sagte er, immerhin habe es ein ganzes Jahr gedauert, bis die Aufnahme des Chors »Die erwachsenen Männer« Erfolg hatte. Als sich das Gespräch dem Thema Musik zuwandte, erwachte auch Ariel zum Leben, und Jouni befürchtete, er könnte etwas ausplaudern. Jouni hatte weder Adriana noch Stenka erzählt, dass er aussteigen wollte. Es war ihm wichtig gewesen, dass Ariel es als Erster erfuhr, und er spürte, er würde es nicht ertragen, jetzt noch jemanden einzuweihen. Ariels stumme Vorwürfe hatten ihm gereicht, er würde sich Adrianas ironischen Spitzen und Stenkas Überredungslitaneien an einem anderen Tag stellen
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