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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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verhindern, sich zu verlieben. Es war ihr nicht gelungen, denn Jouni sah, dass der Trauermantel erneut in ihrem Inneren flatterte: Er schlug gegen die Wände, er schlug immer wieder gegen sie, und seine dünnen Flügel bekamen Kratzer und wurden wund.
    »Mach dir keine Sorgen, du wirst ihn schon finden«, antwortete Jouni und hörte, dass seine Worte falsch und banal klangen. »Hier gibt es viele Zimmer, in denen er sein könnte«, fügte er hinzu, aber das klang auch nicht besser.
    Adriana begegnete seinem Blick, der Schmetterling war kurz zur Ruhe gekommen.
    »Du bist lieb, Jone«, sagte sie und senkte verlegen den Blick. Dann schaute sie auf und fuhr fort: »Es gibt da etwas, ich wollte …« Sie wusste nicht weiter, versuchte es aber noch einmal: »Ich wollte dich fragen … Meine Eltern haben ein paar Bekannte, furchtbar reiche Leute, sie heißen Ervander, und ihr Sohn Mikko ist im Frühjahr übel zugerichtet worden. Und ich habe … nun ja, ich habe Gerüchte gehört, die sagen, das hättest du getan.«
    Sie sah ihm in die Augen, zwar scheu, aber fest entschlossen, die Wahrheit zu erfahren. Jouni begegnete ihrem Blick, blieb aber stumm, er wartete. Adrianas Augen begannen zu flackern.
    »Na ja, das ist natürlich nur ein Gerücht … nur Klatsch.«
    »Und wer verbreitet solche Gerüchte?«, fragte Jouni ruhig.
    »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht«, antwortete Adriana nervös. Sie machte eine ausladende und schwer zu deutende Handbewegung und ergänzte: »Du weißt ja, in meinem Viertel …«
    »Glaubst du wirklich, dass ich zu so etwas imstande sein könnte?«, fragte Jouni und klang bedrückt.
    »Nein, natürlich nicht«, entgegnete Adriana schnell. »Aber ich weiß, dass du dich oft geprügelt hast, als du jünger warst. Und dass du Raikka Hurme kennst und so …«
    »Und warum sollte ich … wie hieß dieser Typ, Nervander?«
    »Ervander.«
    »Ja … warum sollte ich diesen armen Ervander misshandeln wollen, den ich nicht einmal kenne?«
    Adriana lehnte sich vor und strich ihm hastig über die Wange.
    »Entschuldige, Jone«, sagte sie. »Ich bin ein Idiot.«
    Der gequälte Ausdruck tauchte wieder in ihren Augen auf, und Jouni beeilte sich, die Rolle zu wechseln.
    »Das macht doch nichts, Addi«, sagte er sanft und berührte leicht ihre Schulter. »Ich weiß, dass die Leute sich über mich das Maul zerreißen. Und daran bin ich selber schuld. Ich habe früher eine Menge Dummheiten angestellt.«
    Adriana lächelte, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Sie blieben ernst, und ihre Stimme war nachdrücklich, als sie sagte: »Hast du jemals daran gedacht, dass du schon in mir bist?«
    Jouni zuckte zusammen und errötete gegen seinen Willen heftig, er spürte, wie sein Gesicht glühend heiß und verschwitzt wurde.
    »Wie … wie meinst du das?«, fragte er, und seine Stimme klang belegt.
    »Nimm aus meinem Nachnamen das us und ein s weg«, sagte Adriana. »Was bekommst du dann?«
    Jouni überlegte und begriff. Er hatte nie daran gedacht. Sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, aber er hoffte, dass man es weder hörte noch ihm ansah.
    Während der Sonnenuntergang näherrückte, wurde die Party immer chaotischer. Karnow ließ laute Popmusik laufen, und es gab viel freie Fläche. Die Leute tanzten, und je weiter der Abend fortschritt, desto wilder und hemmungsloser tanzten sie. Eine kleinere Gruppe hatte sich in eines der Schlafzimmer zurückgezogen, aus dem man lautstarkes Lachen hörte, und wenn man sich der Tür näherte, stieg einem ein süßlicher Geruch in die Nase. Jouni wusste, dass dieser Geruch nicht von gewöhnlichen Zigaretten stammte, und fragte sich, ob Ariel in dem Raum war. Aber die Tür war abgeschlossen, es ließ sich nicht feststellen. Mitten im allgemeinen Getümmel klingelte das Telefon, es war ein Ferngespräch aus London. Karnow ließ die Musik kurz abstellen, und die Gäste hörten einen befreundeten britischen Fotografen so laut Superlative in den Hörer brüllen, dass die Umstehenden jedes Wort verstanden. Der desinteressierte Karnow antwortete in einem trockenen und gemessenen Oberklasseenglisch: »No, I’m afraid we haven’t watched the game at all. I’m not even sure it’s aired … Sorry? … Horst who? I’m not familiar with anybody named … Oh? … No, not Hurst either.«
    Kurze Zeit später stand Jouni auf dem langen Balkon. Er hatte sich zu einer größeren Gruppe gesellt, die meisten anderen waren Frauen, und er fand sie alle schön. Er schaute sich nach Ariel um,

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