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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Mikroräume des Gehirns, es war fast zu viel für ihn geworden, er hatte gespürt, dass er innerlich bebte wie ein uraltes Schloss unmittelbar vor dem Einsturz. Die heisere und ungezügelte, gleichzeitig jedoch so präzise Gitarre, diese düstere, gigantische, galaktische Klangwelt war all das, was Ariel irgendwo in der Popmusik und dem Blues verborgen erahnt hatte, ja, mehr als das, es war die Vollendung . Denn Ariel wusste: Nachdem er Jimi Hendrix gehört hatte, brauchte er nicht mehr zu suchen. Er konnte seine eigene Reise beenden, seine eigenen Mühen vergessen, was er gerade gehört hatte, würde er selbst niemals erreichen können. Seine eigene Gitarrentechnik hatte gewisse Ähnlichkeiten mit Hendrix, auch Ariels Hände waren groß, nicht so kräftig wie die des Amerikaners, sondern schmal, aber mit langen Fingern. Ariels rechte Hand war vielseitig, er benutzte abwechselnd ein Plektrum und eine eigenwillige Fingertechnik und nahm genau wie Hendrix manchmal den Daumen der linken Hand, um Basstöne in eine Diskantphrase einzubauen. Damit endeten die Ähnlichkeiten jedoch, denn dann kam all das, was Jimi Hendrix hatte, Ariel jedoch nicht, all das, was seinen Auftritt so einmalig gemacht hatte. Die Furchtlosigkeit. Die Fantasie. Die Freiheit. Und die Energie, vor allem die Energie: Die kosmische Urkraft, die in jedem Ton knisterte, der aus Hendrix’ Stratocaster kam.
    »Verdammt, was für ein Gig! Der Typ ist ja total irre! Du hast doch bestimmt noch eine Kippe, meine sind alle.«
    Ariel wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Alex Karjagin ihm ins Ohr schrie. Karjagin trug eine dunkelrote Samthose, Cowboystiefel und eine dicke Afghanenjacke, obwohl schon Frühling war. »I-Ich bin nicht taub«, antwortete Ariel beleidigt und hielt ihm seine Schachtel Armiro hin.
    »Ich pack es einfach nicht, dass man so spielen kann«, sagte Karjagin und schnappte sich dankbar eine Zigarette. Ariel schaute sich um. Es wimmelte von Gitarristen und anderen Musikern unter den jungen Männern, die stehen geblieben waren und zu verdauen versuchten, was sie erlebt hatten. Er nickte Jugi Eskelinen und Santtu Wuori von The Bukka Men zu. Etwas weiter weg stand Willehard Halén von Morning Crowd und spielte Luftgitarre, und an der Bürgersteigkante stand Rivo Paananen und unterhielt sich mit dem Schlagzeuger Aaltonen von den Creatures.
    »Ich habe irgendwo gelesen, dass die Mutter von dem Typen eine Cherokee-Indianerin ist. Deshalb klingt er bestimmt so. Irgendwie hat er Kontakt zu den Geistern der Ahnen. So ein bisschen wie, dass ich sibirischen Blues in meiner Stimme habe, weil ich Russe bin«, fuhr Karjagin hoffnungsvoll fort.
    »In S-Suosikki stand nur, dass er Neger ist«, erwiderte Ariel zerstreut.
    »Ja, verdammt …«, sagte Karjagin vage. »Kommst du mit zu Santtu? Er wohnt draußen in Kånala, wir wollen alle hin und feiern, dass gestern die erste Single der Bukka Men herausgekommen ist.« Er legte eine Kunstpause ein, lehnte sich dann vor und flüsterte verschwörerisch in Ariels Ohr: »Es gibt Dope!«
    »Nee, lass gut sein«, hörte Ariel sich sagen. Er war auf einmal furchtbar müde, und das trotz des Konzerts, trotz des Maiabends, trotz des Lichts. »Ich muss … ich glaube, ich w-will allein sein.«
    Als er zur Tölöviken hinunterging, wusste er selbst nicht, warum er die Einladung ausgeschlagen hatte. Er wandte sich nach links und ging durch das Viertel Fågelsången und über die Eisenbahnbrücke und am neuen Theater vorbei nach Hause. Er hatte keine Augen für das zarte Grün, war taub für die Frühlingslaute, die ihn umgaben. Er grübelte. Zuhause . Er würde bald seinen vierundzwanzigsten Geburtstag feiern, wohnte aber noch bei seiner herumhurenden Mutter und einem versoffenen Fernfahrer, der sie schlug, ohne dass Ariel dagegen zu protestieren wagte. Nein, es war schlimmer. Er wohnte allein in einer leeren Zweizimmerwohnung, die seine Mutter und Björk aufgegeben hatten und in der die Weißbrotkanten auf dem Küchentisch blaugrün schimmelten und die Milch im Kühlschrank zu einem sauren Klumpen geworden war.
    Jetzt reichte es.
    Es wurde Zeit abzuhauen.
    Nach Stockholm abzuhauen und von dort nach Kopenhagen, Amsterdam, London und in andere Städte zu gehen, in denen es Freiheit gab, in denen man eine neue Chance bekommen konnte.
    Er war auch früher schon abgehauen. Vor Dingen abgehauen, die erst im Entstehen begriffen waren, Dingen, die ihn nicht haben wollten und die er selbst nicht haben wollte. Er hatte auch Lydia

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