Geheimauftrag: Liebe
›Spiel‹ in Kenntnis zu setzen, gelangte aber zu dem Schluss, dass man es vermutlich weder billigen noch verstehen würde. Deshalb beschloss er, um das Ganze nicht auffliegen zu lassen, sich auf das Feld militärischer Desinformation zu wagen und seine sonst rein diplomatischen Ratschläge stückchenweise mit Hinweisen auf militärische Angelegenheiten zu durchsetzen. Weil er nichts von dieser Materie verstand, schloss er Freundschaft mit einem hochrangigen Vertreter des Kriegsministeriums, der natürlich keine Ahnung hatte. Allerdings brauchte mein Vater keine großartigen Informationen, nur gerade so viel, um mit einer interessanten Randbemerkung die Franzosen in die falsche Richtung zu lenken oder sie bezüglich eines zeitlichen Ablaufs auf eine falsche Fährte zu setzen, ohne jedoch je konkret zu werden. In der Regel handelte es sich um Sachen, die schwer zu überprüfen waren und leicht in letzter Minute geändert werden konnten.«
»Und sie haben sich weiterhin täuschen lassen?«
»Ja. Immerhin galt er seit Jahrzehnten als ein zuverlässiger Berater und hatte sie, soweit sie wussten, nie im Stich gelassen oder enttäuscht. Außerdem glaubten sie, dass er ein fanatischer Sammler sei, der für diese Leidenschaft einiges zu wagen bereit war.« Nicholas zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher, ob ihm die Schnupftabakdosen selbst so wichtig sind, jedenfalls
ist jede von ihnen Ausdruck eines Triumphs, die Franzosen erfolgreich in die Irre geführt zu haben.«
»Ich nehme an«, bemerkte Charles und griff ihm voraus, »dass der Mörder hergeschickt wurde, um Rache zu nehmen und ihn abzustrafen?«
Nicholas’ Miene wurde grimmig. »Das scheint der Fall zu sein.«
»Sie sagten, sie hätten es nach Waterloo herausgefunden.« Penny war angesichts dieser Enthüllungen fast ein wenig schwindelig. »Wie? Was ist geschehen?«
»Vergiss nicht, wie es damals war«, sagte Nicholas, »vor noch einem Jahr. Das wilde Gerede von dem ›korsischen Monster‹ und so weiter? Mein Vater war es leid – er hatte keine Lust mehr. Besonders als Granville darauf bestand, sich zu verpflichten.«
Penny richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Dein Vater kam her, kurz bevor mein Bruder gegangen ist. Er hat versucht, ihm die Sache auszureden – ich habe es gehört.«
Nicholas nickte. »Er wollte nicht, dass Granville sich meldete. Hat versucht, ihn davon abzubringen. Gleichzeitig beschloss er, mit seinem ›Spiel‹ aufzuhören. Nur eine letzte Nachricht noch und dann Schluss, dachte er.«
»Wie lautete diese letzte Botschaft?«, fragte Charles.
Nicholas schaute Charles ins Gesicht. Er war sichtlich erschöpft, fuhr aber bereitwillig fort: »Mein Vater wusste sehr wenig über Wellingtons Pläne. Niemand tat das. Aber während der Feldzüge auf der Iberischen Halbinsel hatte mein Vater eine Menge über Wellingtons Strategie gelernt. Immerhin musste er ja den Franzosen Nachrichten zuspielen, die zumindest plausibel klangen. Wenn es darum geht, die Reaktionen und Taktiken von Leuten in einer bestimmten Situation vorauszusagen, ist mein Vater unschlagbar. Da hat er ein bemerkenswertes Talent, das er auch in diesem Fall einsetzte. Er
hatte Zugriff auf ausgezeichnete Karten, studierte das Gelände und sah sogar die Lage des vermutlichen Schlachtfelds richtig voraus. Davon also wollte er die Franzosen mit kleinen Hinweisen ablenken, indem er Zweifel säte und sie auf einen anderen Ort hinwies. Und dieses Mal war es ihm egal, ob sie ihm auf die Schliche kamen, weil es ja die letzte Information sein sollte.«
»Was hat er ihnen gesagt?« Charles beugte sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt.
Nicholas lächelte. »Herzlich wenig – er hat bloß einen Ortsnamen fallen lassen.«
Charles starrte ihn an. »Lassen Sie mich raten. Er beginnt mit einem H.«
Penny sah zu Charles, verwundert über die Ehrfurcht in seiner Stimme. Dann schaute sie wieder zu Nicholas.
Der nickte. »Er hat Hougoumont genannt.«
Charles fluchte lange und ausgiebig auf Französisch.
»Genau.« Nicholas schüttelte den Kopf. »Auch wenn ich ihn für wahnsinnig halte …« Er brach ab, machte eine ausholende Geste. »Was soll man sagen?«
Sein Gegenüber fluchte wieder, sprang auf die Füße, lief auf und ab, blieb stehen, schaute zu Nicholas. »Ich war auf dem Schlachtfeld, allerdings nicht in der näheren Umgebung von Hougoumont. Keiner von uns konnte begreifen, warum Reille so davon besessen war, diesen Ort zu erstürmen, der schlicht und ergreifend
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