Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
zehnjährigen Jungen. Eine Durchsuchung der Gruft ist natürlich undenkbar – auch wenn sich außerdem der Schädel des mexikanischen Revolutionsgenerals Pancho Villa und und der Grabstein des Yale-Gründers Elihu Yale im Besitz der Bonesmen befinden sollen.
Bleibt die Frage, ob diese Artefakte Teil der Kulte sind, die in der Gruft gefeiert werden. Die spärlichen Informationen über die Einweihungsrituale sind widersprüchlich. Vor einigen Jahren gelingt es einem Fernsehteam, eine nächtliche Initiation im Innenhof des Skull-and-Bones-Gebäudes zu filmen. Das nicht sehr deutliche Filmmaterial hinterlässt den Eindruck eines chaotischen Vorgangs. Einer der Neulinge muss einen Schädel küssen, es gibt Anzeichen einer vorgetäuschten Hinrichtung, Schreie gellen durch den Innenhof. Es wird viel geflucht und mit sexueller Gewalt gedroht. Schwierig zu sagen, ob die Aufnahmen authentisch sind oder das Filmteam auf ein Täuschungsmanöver hereinfällt.
Als relativ sicher kann gelten, dass eine Sarg- oder Wiederauferstehungsszene Teil des Rituals ist, da sie in der einen oder anderen Form immer wieder bei Geheimbünden vorkommt. Der Neuaufgenommene legt sein altes Leben ab und wird als Bundesmitglied wiedergeboren. Anscheinend orientierten sich die Gründungsmitgliedervon Skull and Bones an Freimaurer-Ritualen. Darauf deutet das Verbot, Metallteile am Körper zu tragen, wenn die Neulinge «die Gruft» aufsuchen, um das Aufnahmeritual zu durchleben. Ein solches Verbot gilt auch für die Lehrlingsinitiation in den freimaurerischen Johannislogen.
In der Regel werden die Rituale im bis auf zwei Stühle und einen Tisch ausgeräumten «Inneren Tempel» durchgeführt, im legendären Raum 322. Ehemalige Studenten, die «Patriarchen», leiten das Ritual. Der Ritualführer trägt den Titel «Onkel Toby». Der Name entstammt einer Figur aus Laurence Sternes Roman «Tristram Shandy». Onkel Toby ist ein wegen einer Verletzung im Schambereich außer Dienst gestellter Offizier. Der kleinste Ehemalige steckt in einem Teufelskostüm. Er ist der «kleine Satan». Weitere sind als Don Quixote, als Papst und als Elihu Yale verkleidet. Der Rest des Publikums besteht aus Studenten, den «Rittern». Sie tragen Skelettkostüme und sorgen für eine infernalische Geräuschkulisse. Ein aus dem Jahr 1940 stammendes Skull-and-Bones-Dokument beschreibt das Ritual im dürren Telegrammstil: «Neuling wird in einen Sarg gelegt, in die Mitte des Gebäudes geschafft. Neuling wird besungen und in die Gesellschaft wiedergeboren. Aus dem Sarg geholt und in Robe mit Symbolen darauf gekleidet. Ein mit seinem Namen versehener Knochen wird am Anfang jedes Treffens auf den Knochenhaufen geworfen. Die Neulinge werden in ein Schlammbad gestürzt.»
Demnach haben also Generationen von amerikanischen Wirtschaftsführern, Senatoren, hohen Staatsbeamten sowie drei Präsidenten der USA ein Schlammbad als einen der Höhepunkte ihres Studentenlebens in Erinnerung. Keine sehr erhebende Vorstellung.
Skull and Bones ist bis heute eine hermetisch abgeriegelte Welt, neben der sich jeder staatliche Geheimdienst wie ein geschwätziges Kaffeekränzchen ausnimmt. Die absurd anmutenden Rituale sind sicherlich nicht der Grund dafür. Sie erfüllen wohl lediglich den Zweck, einen Ausgleich zum Universitätsleben zu bilden, das in früheren Zeiten rigide Benimmregeln und strenge Hierarchien kennzeichnen.
Für die legendäre innere Geschlossenheit von Skull and Bones sorgen hingegen zwei Rituale, die im Ergebnis auf das Gleiche hinauslaufen: Erpressbarkeit. Unter dem Gemälde einer Frau, das Bones-intern «Eheglück» heißt, muss jeder Neu-Ritter die vor dem Feuer eines gigantischen Kamins versammelte Runde seines Jahrgangs mit Intimitäten aus seinem Sexual- und Beziehungsleben versorgen und sich die Kommentare seiner Mitstudenten anhören. Ebenso gefürchtet sind die Sitzungen, in denen die «Ritter» einen Vortrag über ihr bisheriges Leben halten müssen. Auch diese Vorträge werden von der Runde kritisch hinterfragt. Für viele der Studenten ist dies aufgrund ihrer Herkunft und Erziehung sicherlich eine zutiefst irritierende wie prägende Erfahrung. Sie lernen Lebenswelten kennen, in die sie vielleicht nie wieder so detailliert Einblick bekommen. Und von sich geben sie Dinge preis, die sie möglicherweise niemandem sonst erzählen werden. Die intimen Geständnisse sind das Erz, aus dem der eiserne Ring des Schweigens geschmiedet ist, der Skull and Bones umgibt. Sie bilden
Weitere Kostenlose Bücher