Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
zutraut.
Ein deutliches Beispiel, wie gefährlich eine Verschwörungstheorie sein kann, die bewusst von einer Gruppe in die Welt gesetzt wird, sind neben der Dolchstoßlegende nach dem Ersten Weltkrieg, die zum Aufstieg Hitlers beitrug, die «Protokolle der Weisen von Zion» . (s. S. 352). Das Anfang des 20. Jahrhunderts verfasste antisemitische Pamphlet hat bis heute eine unerträgliche Wirkung: Obwohl die Fälschung längst nachgewiesen wurde, glauben noch immer Antisemiten und Anhänger von Verschwörungstheorien in der ganzen Welt an seine Authentizität. Insbesondere in den arabischen Staaten kursieren sie auch im Internet. Die Palästinenser-Organisation Hamas benutzt in ihrer Charta die Protokolle der angeblichen zionistischen Geheimversammlung als Begründung für ihre terroristischen Ziele.
Gehorsam dem Guten Hirten
Was macht Geheimbünde für den Einzelnen so anziehend? Eine Auswahl: Die Attraktivität eines exklusiven Clubs. Das Gefühl, zu einem Bund von Auserwählten zu gehören, zu einer Elite der Wissenden, die zu höheren Erkenntnissphären gelangen. Erkenntnis und Trost auch im ganz persönlichen, täglichen Leben. Die geschickteVermittlung des Gefühls, etwas ganz Besonderes zu sein. Das Geheimnis der sehr emotionalen Einweihungsriten zu erleben – und es im Schweigegelöbnis zu bewahren. Die Furcht vor Ächtung und Strafen, die zugleich eine Faszination ausübt. Eine klare Hierarchie, die bedingungslosen Gehorsam verlangt. Man ist in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter aufgehoben, zusammengeschmiedet durch geheimes Wissen. Man ist nie mehr allein. In Zeiten von Verunsicherung und Wandel findet der Einzelne Geborgenheit, Zuwendung, Sicherheit, Schutz.
Es ist bezeichnend, dass geheime Gesellschaften und Verschwörungen vor allem in Zeiten des Umbruchs gedeihen können. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg zum Beispiel oder im 18. Jahrhundert, die Zeit der Blüte von Freimaurern, Rosenkreuzern und Illuminaten, die auch die Französische Revolution angezettelt haben sollen. Traditionelle gesellschaftliche und religiöse Vorstellungen und Formen lösten sich auf. Das bisher gültige Weltbild war durch die Aufklärung ins Wanken geraten. Etwas Neues musste das Vakuum füllen. Der Vergleich mit der zu groß und für den Einzelnen zu unübersichtlich gewordenen Welt des späteren römischen Kaiserreichs und seinen florierenden Mysterienkulten bietet sich an. Und der Bogen wird auch zum Heute in Zeiten der Globalisierung mit seinen sich ändernden Strukturen, Idealen und Ideologien gezogen. Die Suche nach wirtschaftlicher, (welt)politischer und privater Sicherheit und nach persönlichem Glück, die Staat und Kirche vielen nicht mehr vermitteln können, führt zunehmend ins Esoterische, Spirituelle und in die schützenden Arme von verschwiegenen Gemeinschaften.
Ja, es gibt «gute» und «böse» geheime Gesellschaften. Grund genug, genau hinzuschauen.
Fact und Fiction
Und die Menschheit vor der Menschheit? Gab es die? Oder hat sich da jemand eine Verschwörungstheorie gebastelt? Mit unseren heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten können wir keine Beweise liefern – weder für noch gegen die Behauptung. Das ist der Boden, auf dem Verschwörungstheorien gedeihen.
Doch so unwahrscheinlich es klingt: Unsere jetzige Menschheit ist dem Aussterben tatsächlich schon mehrmals knapp entgangen. Vor rund 70 000 Jahren war sie fast ausgelöscht. Die National Geographic Society hat vor wenigen Jahren eine israelisch-amerikanische Studie mitfinanziert, die in der US-Zeitschrift «American Journal of Human Genetics» veröffentlicht wurde und weltweit Aufsehen erregte. Die Forscher können eines der dramatischsten, aber bisher weitgehend unbekannten Kapitel unserer Geschichte nachweisen: Bis auf geschätzte maximal 2000 (!) Individuen, die verstreut in winzigen Gruppen zusammenlebten, war die Menschheit aufgrund extremer Klimabedingungen fast ausgestorben. «Spiegel online» am 19. November 2012: «Für die Verbliebenen hing das Überleben von Zufällen ab: Eine Seuche, eine Hungersnot, ein Unwetter – und auch die letzten Menschen wären gestorben.» Es war nicht das erste Mal, dass die Menschheit an der Klippe stand. Wie Genetiker der Universität von Utah jetzt herausfanden, entgingen auch die Frühmenschen vor einer Million Jahren nur knapp dem Aussterben.
So leicht lässt sich also die Theorie «Menschheit vor der Menschheit», die auf den ersten Blick als totale Spinnerei erscheint, nicht
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