Geheime Macht
konnte nicht damit umgehen.
Hinter mir brüllte Raphael und ließ die Wände der Ruine erzittern. Ich ging weiter. Sein Verzweiflungsschrei verfolgte mich, bis ich schließlich einen Zahn zulegte und schneller lief. Mein ganzer Körper schmerzte. Fieber erhitzte mein Gesicht von innen, als das Lyc-V versuchte, meine Verletzungen zu flicken. Wenn sich doch auch andere Dinge so einfach erledigen ließen!
Ich rannte immer schneller, auf die Wand zu, durch das Loch und hinaus ins Mondlicht. Ich sprang auf das nächste Dach und rannte und rannte. Die Luft brannte in meinen Lungen, das Blut der Bestie tropfte von mir und hinterließ eine grausige Spur.
Ich lief weiter, bis die Erschöpfung in meinen Gliedern unerträglich wurde. Ich war auf einem Dach … irgendwo. Die Gebäude in meiner Nähe kamen mir jetzt nicht mehr vertraut vor. Ich wurde langsamer, bis ich ganz stehen blieb. Hinter mir breitete sich die von Magie getränkte Stadt aus. Vor mir lag ein Fluss wie eine silbrige Schlange, die im Mondlicht glitzerte. Hohe Bäume hielten am anderen Ufer Wache. Winzige Lichtpunkte in Grün und Türkis trieben zwischen ihren Ästen. Ich war quer durch die Stadt bis nach Sibley Forest gelaufen, einem der neuen Wälder der Nachwendezeit. Sie waren voller Magie und hungriger Wesen, die Menschen als schmackhafte, leicht zu fangende Leckerbissen betrachteten.
Die Bäume riefen mich. Sie sahen so friedlich aus, und obwohl ich wusste, dass sie es nicht waren, konnte ich nicht widerstehen.
Ich sprang vom Gebäude in den Fluss. Um mich herum schäumte mit Millionen Blasen kühles Wasser. Ich kam wieder an die Oberfläche und glitt schwimmend durch die Kühle, als würde ich fliegen. Dann war der Fluss viel zu schnell zu Ende, und ich zog mich auf das gegenüberliegende Ufer, tropfnass, aber nicht mehr blutbesudelt. Ich stieg die Böschung hinauf und kämpfte mich durch das Unterholz. Der Wald sang mir ein Lied in einem Dutzend verschiedener Stimmen und lockte mich mit unzähligen Gerüchen. Ich atmete tief den würzigen Duft der Waldkräuter ein, den Moschus eines Waschbären, die leicht bittere Witterung eines Opossums. Meine Ohren zuckten, wenn sie die Geräusche von Mäusen auffingen, die durch das Dickicht huschten, den fernen Ruf einer Eule, das Zirpen von Zikaden in der tröstenden Finsternis.
Als ich weiterging, rieben sich die Grashalme an meinen Beinen und kitzelten mein Fell. Über mir zitterte ein dichtes Rankengewächs mit kleinen weißen Blüten in der nächtlichen Brise. Die Blütenblätter lösten sich, leuchteten hellgrün und schwebten wie eine Lichterkette an mir vorbei. Fasziniert hockte ich mich ins Gras und beobachtete, wie sich eine schimmernde Blüte auf einem Blatt niederließ. Hübsch.
Ich lief durch den Wald, ohne irgendetwas zu denken. Hätte ich mich ganz in eine Hyäne verwandeln können, hätte ich es getan. Ich wollte mich einfach nur abkühlen, Gerüche wahrnehmen, Tiere beobachten und so tun, als wäre ich ein Teil dieser Welt. Als würde ich nicht zu der Welt jenseits des Flusses gehören. Hier waren die Entscheidungen viel einfacher. Wollte ich mich ins Gras legen oder auf einen umgestürzten Baumstamm? Wollte ich die Mäuse beobachten oder versuchen, eine zu fangen? Wollte ich den Eulen oder den singenden Fröschen zuhören? Alles ganz einfach.
Schließlich kletterte ich auf einen großen Baum, rollte mich zwischen seinen Ästen zusammen und schlief ein.
Kapitel 9
Auf einem Baum zu schlafen war theoretisch eine tolle Idee. Die Praxis sah jedoch so aus, dass ich kurz vor Sonnenaufgang aufwachte und mir alles wehtat. Mein Fell war nass vom Morgentau, und ich stank nach verwestem Blut. Anscheinend hatte ich im Fluss doch nicht alles abgewaschen. Die Magie hatte sich zurückgezogen, und nun hielt wieder die Technik die Zügel des Planeten im Griff. Der verzauberte Wald von gestern war jetzt eine feuchte, schlammige und unangenehme Wildnis. Ich stand vor der Wahl, ob ich meine Gestalt als Tierabkömmling beibehalten oder mit nacktem Hintern durch die Stadt marschieren wollte, und entschied mich für das Fell. Ich überquerte erneut den Fluss und hielt mich dann an die Dächer.
Ich hatte mit meinem Exfreund, den ich angeblich hasste, vereinbart, gegen Gesetze zu verstoßen, hatte den magischen Monsterkampfhund meines Opfers in mordlustiger Raserei zerfleischt, war dann quer durch die Stadt fortgerannt, eine Weile durch einen Wald geirrt und in meiner Tiergestalt auf einem Baum
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