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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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wird Lord Gifford sein. Er kommt, um das Testament zu eröffnen. « Er zog sein Jackett über, richtete den Kragen und schaute mich über seine Brille hinweg an. »Lady Ashbury wird gleich zum Tee läuten, Grace. Nachdem du den Tee aufgetragen hast, denk dran, eine Karaffe Limonade für Miss Hannah und Miss Emmeline nach draußen zu bringen.«
    Als er die Treppe hinaufeilte, klopfte Mrs Townsend sich mit der Hand aufs Herz. »Meine Nerven sind einfach nicht mehr, was sie einmal waren«, seufzte sie.
    »Und die Hitze macht es auch nicht einfacher«, murmelte Nancy vor sich hin. Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. »Gott, es ist erst halb zehn. Lady Violet wird erst in zwei Stunden zum Mittagessen läuten. Machen Sie doch heute ein bisschen früher Pause. Grace kann den Tee allein auftragen.«
    Ich nickte, froh, eine Aufgabe zu haben, die mich von all der Trauer ablenkte. Vom Krieg. Von Alfred.
    Mrs Townsend schaute erst Nancy an und dann mich.
    Nancy setzte eine strenge Miene auf, aber ihre Stimme klang weicher als gewöhnlich. »Kommen Sie, Mrs Townsend. Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie sich erst mal ein bisschen ausgeruht haben. Ich sorge dafür, dass alles sauber und in Ordnung ist, bevor ich zum Bahnhof gehe.«
    Die zweite Glocke klingelte, die für den Salon, und Mrs Townsend zuckte wieder zusammen. »Also gut.« Sie sah mich an. »Aber du weckst mich, wenn du irgendetwas brauchst, verstanden?«
     
    Ich trug das Tablett die dunkle Treppe hoch und trat in die Eingangshalle. Grelles Licht und Hitze schlugen mir
entgegen. Lady Ashbury hatte darauf bestanden, dass alle Vorhänge im Haus zum Zeichen der Trauer zugezogen blieben, wie es dem viktorianischen Brauch entsprach, aber für die ovalen Fenster über der Eingangstür gab es keine Vorhänge, sodass das Sonnenlicht dort ungehindert einfallen konnte. Es erinnerte mich an eine Kamera. Licht und Leben inmitten eines mit einem schwarzen Tuch verhangenen Gehäuses.
    Ich durchquerte die Eingangshalle und öffnete die Tür zum Salon. Der Raum war erfüllt von warmer, abgestandener Luft, die mit dem Sommer eingedrungen war und nun von der Trauer des Hauses gefangen gehalten wurde. Die hohen Terrassentüren waren geschlossen, und sowohl die schweren Brokatvorhänge als auch die seidenen Gardinen darunter waren zugezogen. Ich blieb an der Tür stehen. Etwas an dem Zimmer ließ mich zögern, irgendeine Veränderung, die nichts mit der Dunkelheit oder der Hitze zu tun hatte.
    Als meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, nahm die düstere Szene Formen an. Im Lehnstuhl des kürzlich verstorbenen Lord Ashbury saß Lord Gifford, ein älterer Mann mit frischer Gesichtsfarbe, auf den breiten Schenkeln einen offenen schwarzen Aktenordner. Er las laut vor und genoss es offensichtlich, wie seine Stimme in dem verdunkelten Zimmer widerhallte. Auf dem Tisch neben ihm stand eine elegante Messinglampe mit einem geblümten Schirm, die einen sauberen Kreis sanften Lichts auf seine Papiere warf.
    Auf der ledernen Chaiselongue ihm gegenüber hatten Jemima und Lady Violet Platz genommen. Beide waren Witwen. Lady Violet schien seit dem frühen Morgen geschrumpft zu sein: eine winzige Gestalt in einem schwarzen Seidenkleid, das Gesicht hinter einem dunklen Spitzenschleier verborgen. Auch Jemima war ganz in Schwarz,
das Gesicht aschfahl. Ihre sonst so fleischigen Hände, mit denen sie gedankenverloren ihren dicken Bauch streichelte, wirkten jetzt klein und zerbrechlich. Lady Clementine hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, doch Fanny, die immer noch wild entschlossen war, Mr Fredericks Ehefrau zu werden, hatte die Erlaubnis erhalten, bei der Testamentseröffnung anwesend zu sein. Das Gesicht ein Muster an einstudierter Trauer, saß sie ebenfalls neben Lady Violet.
    Auf dem Beistelltisch ließen die Blumen, die ich erst am Morgen im Garten gepflückt hatte – rosafarbene Rhododendronblüten, cremeweiße Clematis und weißer Jasmin –, die Köpfe hängen, als wären auch sie verzagt. Der Jasminduft hing so schwer in dem geschlossenen Zimmer, dass man beinahe zu ersticken meinte.
    Neben dem Beistelltisch stand Mr Frederick, eine Hand auf dem Kaminsims, seine hochgewachsene Gestalt in ein steifes Jackett gekleidet. Im Dämmerlicht wirkte sein versteinertes Gesicht wie das einer Wachspuppe. Der schwache Schein der Lampe warf einen Schatten über sein linkes Auge. Das andere war starr auf etwas gerichtet, als fixierte es eine Beute. Und noch während ich ihn betrachtete,

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