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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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lässt ein schiefes Lächeln aufblitzen, wobei deutlich wird, dass ihr zwei Zähne fehlen.
    Asha holt tief Luft. »Frag sie, wann sie hergekommen ist und woher sie stammt.« Parag und die Frau führen eine längere Unterhaltung, in deren Verlauf sie mit ihrem freien Arm auf die Hütte hinter ihr und dann irgendwo in die Ferne deutet.
    »Sie ist hier in diesem Haus, seit sie vor zwei Jahren geheiratet hat. Vorher hat sie dahinten gewohnt« – Parag zeigt vage tiefer hinein in die Siedlung – »bei ihren Eltern.«
    »Hier, in Dharavi? Und wie lange hat sie bei ihren Eltern gewohnt?« Asha hätte nicht gedacht, dass Leute hier über Generationen leben. Die Verantwortlichen bei der Stadt hatten es so dargestellt, als wäre Dharavi nur eine vorübergehende Zwischenstation.
    »Seit ihrer Kindheit, so weit sie zurückdenken kann«, gibt Parag wieder. »Sie sagt, dieses Haus ist besser als das ihrer Eltern. Hier wohnt sie bloß mit ihrem Mann und den Kindern. Bei ihren Eltern waren sie zu acht oder zehnt.« Parag übermittelt diese Informationen, als würde er über das Wetter reden, als wäre der Inhalt keineswegs schockierend. Asha überlegt, ob er das mit Absicht macht, um sie zu ärgern.
    »Gefällt es ihr … wohnt sie gern hier?«, fragt Asha. Sie weiß, wie absurd die Frage ist, für eine Frau, die ihr ganzes Leben in den Slums verbracht hat, aber eine bessere fällt ihr nicht ein.

    »Sie sagt, es ist in Ordnung. Sie würde irgendwann gern in einem richtigen Haus wohnen, aber dafür reicht das Geld noch nicht.«
    Asha denkt an den Fünfzig-Rupien-Schein, der jetzt im Sari der Frau steckt, und die vielen Scheine mehr, die sie noch in der Tasche hat, im Gesamtwert von zehn amerikanischen Dollar. »Was macht ihr Mann?«
    »Er hat als Rikscha-Fahrer gearbeitet«, sagt Parag, stockt, um sich die Antwort der Frau zu Ende anzuhören, und fährt dann fort: »Er hat sich die Schichten mit einem anderen Mann geteilt, aber vor zwei Monaten hat er seinen Job verloren, weil er sich betrunken hat und zu spät gekommen ist.«
    »Und womit verdienen sie jetzt ihr Geld?«
    Als Parag die Frage übersetzt, blickt die Frau nach unten zu dem Topf auf dem Feuer. Sie stellt das Kind auf die Erde, das prompt mit seinen zwei Geschwistern davonläuft. Ihr Ton ist gedämpft, als sie antwortet. »Sie arbeitet abends in einem Bordell«, sagt Parag. »Ein Stück die Straße runter ist eins. Da kann sie für ein paar Stunden Arbeit hundert Rupien am Abend verdienen, dann kommt sie nach Hause. Sie sagt, sie nimmt die Kinder nicht mit, sie lässt sie bei einer Nachbarin. Die Kinder sollen nicht sehen, wo sie arbeitet, was da vor sich geht. Sie sollen es nicht wissen.«
    Asha schluckt schwer, als sie das hört. »Reicht das denn? Hundert Rupien? Ich meine –«
    »Sie sagt, es reicht, um ihre Familie zu ernähren. Wenn ihr Mann eine neue Arbeit gefunden hat, muss sie abends nicht mehr dorthin.«
    Asha wird wieder schwindelig. Sie weiß nicht, was sie noch fragen soll oder ob sie das weiter aushält. Sie blickt Meena an, die sie mit einem Nicken aufmuntert fortzufahren. Sie überfliegt die Liste mit Fragen in ihrem Notizbuch und blinzelt fest, versucht, sich zu konzentrieren. »Wie alt ist sie?«, sagt sie, um Zeit zu schinden. Parag wendet sich der Frau zu, deren Kinder wieder zurück sind und an ihrem Sari zerren. Die Frau bückt sich und hebt das Kleinste hoch.
    »Zwanzig«, lautet die Antwort. Asha fröstelt unwillkürlich, als sie diese Frau betrachtet, die im Elend lebt, sich prostituiert, um zu überleben. Sie hat ihr ganzes Leben in den Slums verbracht. Sie hat drei kleine Kinder, einen Säufer als Mann und kaum Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
    Sie und Asha sind gleich alt.
    Auf der Fahrt zurück in die Redaktion schweigen sie. Asha wirbeln die Gesichter durch den Kopf, die sie in Dharavi gesehen hat, die unfassbaren Geschichten, die sie gehört hat. Sie spürt Meenas Blick auf sich.
    »Und, was meinst du?«, sagt Meena. Die Frage ist sanfter, als Asha erwartet hat.
    Kann sie sagen, wie entsetzt sie ist, dass Menschen in diesem Land so leben? Dass manche kleine Mädchen niemals auch nur die Chance haben, zur Schule zu gehen, weil sie schon mit drei Jahren im Haushalt mithelfen müssen? Dass alle anderen es anscheinend für ganz normal halten, dass einem Kind beide Beine fehlen? »Ich denke, es war ein guter Anfang«, sagt Asha. »Was meinst du?«
    »Ich denke, du hast deine Sache gut gemacht, alles in allem. Wir haben ein paar gute

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