Geheimnis am Holunderweg
erwartet mir.”
„Davon weiß ich nichts”, antwortete die Frau. „Herr Grimm ist nicht da. Wollen Sie auf ihn warten? Ich mache jeden Tag bei ihm sauber. In den Ferien bringe ich Bert immer mit. Er hilft mir fleißig.”
Dicki musterte die kleine magere Frau, die Bert sehr ähnlich sah. „Ickle docka runipi”, sagte er ernst.
„Wie bitte? Sie sind wohl Ausländerin. Ich hatte mal ein Zimmer an eine Ausländerin vermietet. Sie war sehr klug – las in meiner Hand wie in einem Buch.”
„Aha! Ik kann auch aus Hand lesen – wie in Buch.”
„Wirklich?” Die Frau kam neugierig näher. Dicki kannte sie vom Sehen, wußte sie aber nicht gleich unterzubringen. Dann fiel ihm ein, daß sie mit Johanna befreundet war und manchmal bei den Kronsteins aushalf, wenn sie Gäste hatten. Wie war doch ihr Name? Mick – Mick – ach, Mickel! Ja, sie hieß Mickel.
Frau Mickel wischte sich noch einmal die Hände an der Schürze ab und hielt Dicki dann ihre Rechte hin.
„Was lesen Sie in meiner Hand?”
Dicki nahm die Hand und betrachtete sie stirnrunzelnd. „Ah – Sie Heißen – Mickel. Und Sie wohnen – in der – Schäferstraße.”
„Na so was!” rief Frau Mickel. „Steht das wirklich in meiner Hand geschrieben? Was lesen Sie noch?”
„Sie haben fünf Schwestern”, antwortete Dicki, der manchmal zugehört hatte, wenn Johanna und Frau Mickel sich unterhielten. „Und Brüder haben Sie auch wie viele kann ich nicht genau sagen.”
„Es sind sechs”, sagte Frau Mickel eifrig. „Vielleicht sind sie hinter dem Schmutzfleck hier versteckt. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie kommen, hätte ich mir natürlich die Hände gewaschen.”
„Ich sehe Krankheit”, fuhr Dicki fort, „und Kinder und viele, viele Tassen Tee – und …”
„Stimmt genau!” rief Frau Mickel ganz aufgeregt. „Ich bin viel krank gewesen – und habe fünf Kinder. Bert ist der Jüngste. Und die vielen Tassen Tee, die ich schon in meinem Leben getrunken habe! Es sind bestimmt Tausende.”
„Millionen”, sagte Dicki, noch immer über die Hand von Frau Mickel gebeugt.
„Nein, daß Sie sogar die Tassen Tee lesen können! Bert, komm doch mal her und hör dir das an. Die Dame kann einfach fabelhaft aus der Hand lesen.”
Bert hatte draußen vor der Tür gestanden und schon alles gehört. Nun kam er ins Zimmer und sah Dicki mißtrauisch an.
„Wo sehen Sie die Tassen mit Tee?” fragte er. „Woher wissen Sie, daß es nicht Kaffee war?”
Dicki gefiel der Junge nicht. Er hätte mit Vergnügen eine Menge Prügel aus seiner Hand gelesen. Aber Bert hielt die Hände auf dem Rücken versteckt und wallte sich offenbar nicht aus der Hand lesen lassen. Es gab wohl allerlei Dinge in seinem Leben, die er lieber geheim halten wollte.
Jetzt hörte man draußen das Gartentor gehen. „O weh, da kommt schon Herr Grimm zurück, und ich hab’ noch kein Kaffeewasser aufgesetzt!” rief Frau Mickel und verschwand. Gleich darauf trat der Polizist mit schweren Schritten ins Haus.
„Herr Grimm, eine Dame wartet auf Sie”, rief Frau Mickel ihm zu. „Sie sitzt im Arbeitszimmer.”
Herr Grimm ging zuerst in die Küche. „Wie heißt die Dame, und was will sie?”
„Das hab ich sie nicht gefragt. Sie ist Ausländerin – sieht komisch aus und spricht auch komisch.”
„Sie hat Ma aus der Hand gelesen”, erzählte Bert.
„Halt den Mund, Bert!” verwies ihn seine Mutter.
„Aber es ist wahr, die Frau liest in der Hand wie in einem Buch – wußte meinen Namen und alles. Das ist eine ganz Schlaue. Wollen Sie ’ne Tasse Kaffee trinken?”
„Ja, das würde mir guttun. Ich bin von einem Hund angefallen worden.”
„Das ist ja fürchterlich! Hat er Sie gebissen?”
Frau Mickels Teilnahme tat Herrn Grimm wohl. Er erzählte von seinem Erlebnis und bauschte es gewaltig auf. „Ein Wunder, daß meine Hosen nicht ganz zerfetzt sind! Immer wieder stürzte sich der wütende Köter auf mich. Wäre ich nicht so flink gewesen, dann hätte er mich noch mehr gebissen. Ein Glück, daß ich meine dicken Hosen anhatte!”
„Nein, daß Ihnen so etwas passieren mußte!” rief Frau Mickel.
Bert musterte die Hosen des Polizisten. Sie schienen überhaupt nicht zerrissen zu sein. „Werden Sie den Hund anzeigen?” fragte er.
Herr Grimm nahm seinen Helm ab. „Ich habe ihn dabei erwischt, wie er Schafe jagte; das ist ein schlimmes Verbrechen. Leider konnte ich ihn jedoch nicht fangen. Was gäbe ich darum, wenn ich ihn hinter Schloß und Riegel
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