Geheimnis am Holunderweg
klingelte gerade das Telefon. Sein Vater nahm den Hörer ab.
„Hallo! Hier ist Kronstein. Wie bitte? Herr Grimm? Was sagen Sie? Sprechen Sie bitte lauter. Ich kann nichts verstehen.”
Es entstand eine kurze Pause. Dicki blieb stehen und spitzte die Ohren.
„Das kann ich mir gar nicht denken”, sagte Herr Kronstein nun. „Purzel hat noch niemals irgendein Tier gejagt – außer Kaninchen natürlich. Nun gut, kommen Sie her, wenn Sie wollen.”
Herr Kronstein legte den Hörer hin und drehte sich zu Dicki um. „Herr Grimm sagt, Purzel wäre letzte Nacht dabei erwischt worden, wie er Schafe jagte.”
„Das ist ganz unmöglich!” rief Dicki aufgebracht. „So etwas tut Purzel nicht.”
„Er ist jetzt in Herrn Grimms Schuppen eingesperrt. Wo mag er sich nur in der Nacht rumgetrieben haben?”
„Man hat ihn fortgelockt und entführt. Wer will denn gesehen haben, daß er Schafe gejagt hat?”
„Ein Junge namens Bert Mickel. Herr Grimm sagt, der Junge wäre abends übers Feld gegangen und hätte es mit eigenen Augen gesehen. Darauf hätte er ihn eingefangen und zur Polizei gebracht. Da Herr Grimm nicht zu Hause war, sperrte er ihn in den Schuppen – und dort sitzt er jetzt noch. Was sollen wir nun machen?”
Dicki war ganz bleich geworden. „Der Junge lügt. Er hat die Sache mit Herrn Grimm zusammen ausgeheckt. Das soll Herr Grimm büßen! Wann will er herkommen?”
„In einer halben Stunde. Ich werde ihn wohl empfangen müssen.”
Dicki wußte genau, daß Purzel unschuldig war. Bert hatte ganz unverschämt gelogen, und das wußte Herr Grimm auch.
Wütend rannte Dicki zu seinem Schuppen. Er setzte eine rote Perücke auf, schob sich falsche Plastikzähne über seine eigenen, zog einen alten Anzug an und band eine blauweiß gestreifte Schlächterschürze darüber. Dann schwang er sich aufs Rad und fuhr zu Herrn Grimm. Er stellte sich seinem Haus gegenüber an einem Baum, zog eine Zeitung hervor und begann zu lesen, beobachtete dabei jedoch unauffällig Herrn Grimms Haustür.
Endlich kam der Polizist mit seinem Rad durch das Gartentor. Er sah sehr zufrieden aus und summte vergnügt vor sich hin. Sobald er fortgeradelt war, steckte der Schlächterjunge seine Zeitung in die Tasche, überquerte die Straße und ging um das Haus des Polizisten herum. Aus dem Schuppen ertönte gedämpftes Gebell, und Dicki hörte Kratzen an der Tür. Ärgerlich biß er sich auf die Lippen. Wirklich, sie hatten Purzel eingesperrt!
Er klopfte an die Hintertür. Frau Mickel öffnete und wischte sich wie immer die Hände an ihrer Schürze ab.
„Sie sollen sofort nach Haus kommen, Frau Mickel”, sagte Dicki ernst.
„Ach, du lieber Himmel!” rief Frau Mickel. „Hoffentlich ist meiner Mutter nichts passiert. Bert, ich muß nach Hause. Du bleibst hier, bis ich zurück bin, damit jemand im Haus ist.”
„Es ist wohl besser, wenn Bert Sie begleitet”, sagte Dicki, der die beiden so schnell wie möglich aus dem Weg haben wollte.
„Nein, ich bleibe hier.” Bert dachte daran, was er alles aus der Speisekammer mausen konnte, wenn er allein war. Da er offenbar nicht freiwillig weichen wollte, überlegte Dicki, wie er ihn loswerden könnte.
Frau Mickel band ihre Schürze ab und lief davon. Während Bert an der Haustür stand und ihr nachsah, schlich sich Dicki durch die Hintertür und versteckte sich in einem Schrank, der im Flur stand.
Nach kurzer Zeit ging Bert pfeifend in die Küche und öffnete die Speisekammertür. Dicki hörte sie quietschen und steckte den Kopf aus dem Schrank.
Plötzlich rief hinter Bert eine hohle Stimme: „Wehe, wehe!” Der Junge drehte sich erschrocken um. In der Küche war niemand zu sehen. Zitternd stand er da, mit einem Fruchttörtchen in der Hand.
„Wer hat in der Nacht den Hund entführt?” fragte nun eine andere Stimme hinter der Küchentür.
Bert zuckte zusammen und ließ das Törtchen fallen.
„Ich habe den Hund fortgebracht”, rief er ängstlich.
„Ich habe es getan.”
Nun ertönte ein lautes Knurren. Bert schrie entsetzt auf. Als das Knurren von neuem ertönte, begann er laut zu weinen und nach seiner Mutter zu rufen. Aber die Mutter war weit fort.
„Wer hat gelogen?” fragte die Stimme wieder. „Wer hat den Hund entführt?”
„Ich habe gelogen. Ich will die Wahrheit sagen!” schluchzte Bert.
Da rief die hohle tiefe Stimme noch einmal: „Wehe, wehe!” Das war zuviel für Bert. Wie gejagt rannte er aus dem Haus. Die Haustür ließ er hinter sich offen. Als Dicki
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