Geheimnis der Leidenschaft
wehte.
»Ich liebe dich, Bruder des Windes«, flüsterte sie.
Niemand antwortete ihr, nur das Geräusch des artesischen Wassers war zu hören.
26
In der Stille, die Hope in den Wochen, seit Rio gegangen war, zur zweiten Natur geworden war, fuhr sie mit Behemoth über den holprigen Weg zum Wind-Canyon. Sie machte nicht den
Versuch, mit J. L. Hunsaker zu reden, dem Hydrologen, der die Qualität von Rios Brunnen beurteilen sollte.
Hunsaker sah aus, als sei er etwa Ende Vierzig. Er war so schlank wie eine Gerte, und seine Haut war von der Sonne dunkel gebräunt. Seine Kleidung war die eines Feldingenieurs, kräftig und dick, genau wie seine Schnürstiefel. Selbst der Ehering an seiner linken Hand sah aus, als könnte er etwas aushalten. Silberne Strähnen zeigten sich in seinem dunkelbraunen Haar und ließen ahnen, dass dieser Mann für sein Alter schon viel erlebt hatte.
Aber seine Augen zeigten nichts davon. Sie waren von einem reinen Braun, intelligent und aufmerksam, als er das trockene raue Land betrachtete. Er blickte zu den aufragenden Perdidas und den steilen, erodierten Ausläufern, die den Canyon einrahmten. Nirgendwo war ein Anzeichen von Wasser zu sehen.
J. L. Hunsaker rutschte auf seinem Sitz hin und her und schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mir gesagt hätten, dass es hier Wasser gibt, ehe wir losgefahren sind, dann hätte ich behauptet, Sie seien verrückt.«
Hope warf ihrem Passagier einen schnellen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf den Weg. Ganz gleich, wie oft sie diesen Weg fuhr, er überraschte sie immer wieder mit Unebenheiten, mit denen sie nicht gerechnet hatte.
»Eine ganze Menge Leute haben geglaubt, ich sei verrückt«, sagte sie nebenbei. »Einschließlich der Bank in Reno, die Sie angeheuert hat. Deshalb wollten sie ja auch eine Untersuchung der Quelle, ehe sie überhaupt daran denken, mir einen Kredit zu geben.«
Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, noch einmal bei der Cottonwood Savings and Trust Bank einen Kredit zu beantragen, auch nicht, nachdem der Brunnen gegraben war. Sie würde sich nie wieder jemandem verpflichten, der mit John Turner verwandt war.
»Wer hat denn den Brunnen für Sie gefunden?«, wollte Hunsaker wissen.
»Ein Mann mit Namen Rio.«
»Rio?« Hunsaker wandte sich ihr zu und blickte sie interessiert an. »Ein großer Mann? Schwarzes Haar?«
»Ja.« Ihre Stimme klang distanziert, beinahe unhöflich.
»Nun, nun, wenn die Bank mir das gesagt hätte, dann hätte ich uns diese Fahrt ersparen können. Wenn Rio den Brunnen gebohrt hat, dann ist er so gut wie Gold. Noch besser sogar«, fügte Hunsaker hinzu und kicherte. »Rinder können kein Gold trinken.«
Hope versuchte, ihn nicht zu sehr auszufragen, doch ihr Verlangen nach Neuigkeiten war größer als ihr Stolz. Vielleicht hatte Hunsaker Rio ja gesehen oder von ihm gehört.
»Kennen Sie Rio?«, fragte sie so neutral, wie sie nur konnte.
Hunsaker zuckte die Schultern. »Ich kann nicht behaupten, dass irgendjemand Rio kennt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Colorado-Schule für Bergbau.«
Wieder warf Hope dem Hydrologen einen schnellen Blick zu.
»Ja, ich weiß. Ich bin älter als er«, meinte Hunsaker. »Das stimmt. Ich war erst noch beim Militär, und Rio war kaum sechzehn, als er in der Bergbauschule anfing. Er hatte sein Diplom, noch ehe er zwanzig war. Er ist der außergewöhnlichste Mann, den ich je kennen gelernt habe.«
Hopes Hände umklammerten das Lenkrad. Zu fest. Der Wagen rutschte zur Seite, als wolle er protestieren. Hunsaker hielt sich fest, als der Wagen über eine besonders holprige Stelle fuhr. Er beklagte sich nicht über die schwierige Fahrt, denn er war Schlimmeres gewöhnt. Wenigstens hatte dieser Wagen einen Sitz für einen Passagier. Er war schon in Autos gefahren, in denen es nur eine hölzerne Bank gab wie in einem Karren.
»Mit sechzehn war er schon im College?«, brachte sie schließlich heraus. »Das muss aber hart gewesen sein für Rio.«
»Nicht die Schule. Wie ich schon sagte, er ist ein außergewöhnlicher Mann. Aber die Menschen ...« Hunsaker zuckte die Schultern. »Rio war sehr viel allein. Wenn man indianisches Blut in sich hat, dann ist das Leben in einigen Orten im Westen nicht gerade einfach.«
Sie erinnerte sich daran, wie Rio mit Turner gekämpft hatte, schnell und geschickt und rücksichtslos. Sie hatte sich gefragt, wer Rio wohl beigebracht hatte, so zu kämpfen, aber sie hatte sich nie gefragt, warum er es gelernt hatte, denn das
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