Geheimnis der Leidenschaft
sie Rio, oder sie tat es nicht. Auf jeden Fall war sie nicht der Chef, der seine Angestellten zu allen Zeiten überwachte.
»Der Rückwärtsgang ist ein wenig schwierig«, erklärte sie ihm. »Wenn möglich, vermeiden Sie ihn. Wenn das nicht geht, dann wünsche ich Ihnen Glück, denn das werden Sie brauchen. Es wird verteufelt schwierig sein, einen anderen Gang einzulegen. Ich bin manchmal zehn Meilen weit rückwärts
zum Ranchhaus gefahren, damit Mason an der Gangschaltung Wunder wirken konnte.«
Rio lächelte, als er sich dieses Bild vorstellte.
»Der Schlüssel steckt im Zündschloss«, fuhr sie fort. »Auf die Benzinanzeige dürfen Sie sich nicht verlassen. Sie steht immer auf halbvoll. Wenn Sie mehr als fünfzig Meilen fahren wollen, dann sollten Sie am Ranchhaus vorbeikommen. Diesel ist in dem blauen Tank links neben dem Schuppen. Benzin ist in dem roten Tank.«
Rio nickte und ging auf den Wagen zu, dann wandte er sich noch einmal zu ihr um. »Sind Sie immer so vertrauensselig, Fremden gegenüber?«
»Nein«, antwortete sie direkt. Sie sah ihn an, doch sie konnte nicht mehr erkennen als einen Hauch von Licht, dort wo Rios Augen waren. »Ich vertraue Fremden überhaupt nicht.« Dann lächelte sie über sich selbst. »Und ich schlafe auch nicht mit ihnen unter Lastwagen. Wie steht es mit Ihnen, Rio? Lassen Sie Fremde einfach mit Ihrem Pferd davonreiten?«
»Niemals.«
Das ruhige Wort sagte Hope mehr, als ihre neckende Frage eigentlich als Antwort verlangt hatte. Niemand außer Rio hatte bisher die reinrassige Stute geritten.
Noch ehe sie etwas sagen konnte, trat er neben sie, verschränkte die Hände und hob sie auf Dusk. Die Stute bewegte sich einen Augenblick lang unruhig, dann wandte sie den Kopf und schnüffelte an den unerwartet kleinen, lehmigen Reitstiefeln.
Hope murmelte ein paar beruhigende Worte und streichelte den warmen, grauen Hals der Stute. Als sie sanft an dem Zügel zog, richtete das Pferd die Ohren auf und trabte bereitwillig in die Dunkelheit.
»Wir sehen uns zu Hause«, sagte Hope.
Die Worte drangen leise zu dem Mann, der bewegungslos in der Dunkelheit stand und ihr nachsah, bis sie mit der Nacht verschmolz.
6
Als Hope auf den Hof der Ranch ritt, hatte sie die Jacke übergezogen, die Rio hinten an den Sattel gebunden hatte. Obwohl sie so müde war, dass sie sich bemühen musste, wach zu bleiben, war sie traurig, dass der Ritt schon zu Ende war.
Rio hatte Recht gehabt mit seiner Stute. Dusk war das beste Nachtpferd, auf dem Hope je geritten war. Die meisten Pferde waren unsicher und nervös, beinahe schon wild, wenn sie allein durch die Dunkelheit ritten. Doch Dusk nicht. Sie bewegte sich ruhig, selbstsicher und sanft wie der Mann, der sie ausgebildet hatte. Selbst das plötzliche Geräusch des Flügelschlages einer aufgeschreckten Eule hatte sie nicht scheuen lassen. Und was die unheimlichen Rufe der Kojoten betraf, so hatte Dusk nur die Ohren aufgerichtet und war ungerührt weitergegangen.
Plötzlich fiel Licht in den Hof. Mason stand inmitten des Lichtkegels, seine Silhouette war deutlich zu sehen.
»Ein hübsches Pony«, meinte Mason, und in seiner Stimme klang Befriedigung. »Rios Pferd?«
»Ja«, antwortete Hope und ahmte Masons lakonische Art zu sprechen nach.
Er wartete, doch sie sagte nichts mehr. »Ist der Wagen kaputt?«, fragte er.
»Nein.«
Mason wartete.
Schweigen.
»Suchst du Schwierigkeiten, Mädchen?«, fragte er verärgert.
Lächelnd lenkte sie die graue Stute zum Schuppen. »Nein. Ich suche nur nach dem Abendessen.«
Der alte Mann murmelte etwas davon, dass er ihr gebratene Pferdeäpfel servieren würde, dann ging er ins Haus zurück und schlug die Tür laut hinter sich zu.
»Leg noch ein Gedeck auf!«, rief sie ihm nach.
Die Tür öffnete sich wieder.
»Rio wird es also tun?«, wollte Mason wissen. »Er wird für dich Wasser finden?«
»Er wird es wenigstens versuchen.«
Masons Jubelschrei ließ die Stute scheuen.
Hope war darauf vorbereitet, denn sie hatte Masons Reaktion erwartet. Dennoch musste sie sich am Sattelknauf festhalten, um nicht in den Staub zu fallen. Vorsichtig stieg Hope ab. Ihre Füße schmerzten, als sie den Boden berührte. Ganz gleich, wie bequem ihre ausgetretenen Cowboystiefel auch sein mochten, ihre Füße waren am Ende des Tages müde. Genau wie sie. Sie war schon vor der Morgendämmerung aufgestanden, und morgen würde es wieder genauso sein, und übermorgen auch. Und jeden Tag, bis der Regen fiel.
Sie führte Dusk in
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