Geheimnis der Leidenschaft
eines Erdbebens bis tief in ihr Innerstes. Sie schlang die Arme um sich, da alte Sicherheiten zerbrachen und von ihr abfielen und sie in einer neuen Welt verletzlich und nackt und allein zurückließen.
Hat Mutter sich so gefühlt, als sie begriff, dass sie den Mann verlassen musste, den sie liebte?
Hat Vater sich so gefühlt, als er wusste, dass die Frau, die er liebte, ihn verlassen würde?
Haben sie die Zukunft gesehen, die auf sie zukam wie ein schrecklicher Wüstensturm, haben sie es gesehen und gewusst, dass sie nichts anderes tun konnten, als durchzuhalten und zu überleben, wenn der Sturm vorüber war?
Sie konnten einander nicht verändern.
Sie konnten nicht aufhören, einander zu lieben.
Und sie hatten den Sturm nicht überlebt.
»Hope? Was ist los? Ist es Mason? Ist er krank?«
Es war Rios Stimme, tief und besorgt, die wie aus weiter Entfernung zu ihr drang.
Sie öffnete die Augen und sah, dass er ihr ganz nahe war, so nahe, dass sie die Betroffenheit in seinen Augen erkennen konnte, in der harten Linie seines Mundes, in seinen Händen, die er nach ihr ausstreckte, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte.
In dem Augenblick begriff sie, dass er sich um sie sorgte, genauso sehr, wie sie sich um ihn sorgte, und dass er sie auf die einzige Art beschützte, die ihm möglich war. Er ließ sie in Ruhe. Er musste die Wolken entdeckt haben, die sich in ihr zusammenballten, und er versuchte, sie vor diesem bevorstehenden Sturm zu beschützen, sie davor zu bewahren, verschlungen zu werden. Er tat für sie alles, was er konnte, und wandte sich nicht um und ging davon. Das konnte er nicht, denn das wäre für sie noch grausamer gewesen, als wenn er blieb.
»Hope?« Rios Stimme war sanft und leise. »Was ist passiert? Kann ich irgendetwas tun? Wie lange stehst du schon hier?«
Sie beantwortete die einzige Frage, die sie beantworten konnte, denn sie wusste wirklich nicht, wie lange sie schon im Hof stand. Lang genug, dass ihre Haut sich ganz trocken anfühlte und eine feine Staubschicht ihre Arme bedeckte. Lange genug, um mehr über die Liebe und sich selbst und die Zukunft zu begreifen, als sie wissen wollte.
»Mason geht es gut. Er ist unterwegs nach Salt Lake«, sagte sie. Sie sah Rio an mit Augen, die dunkel waren und in denen die Schatten des Begreifens und des Bedauerns lagen. Ihre Stimme klang sanft, so gebrochen wie ihre Sicherheit, dass sie nie wieder einen Mann so lieben würde, wie sie Rio liebte.
Leidenschaftlich. Hilflos. Hoffnungslos.
Aber nicht bitter.
Das nicht. Es gab keinen Platz in Hopes Seele für Bitterkeit, weil sie akzeptiert hatte, was sie war und was er war und dass keiner von ihnen sich ändern konnte.
»Wie ging es denn heute?«, fragte sie. »Hast du eine Stelle gefunden, an der man bohren kann?«
»Sag mir, was geschehen ist.«
»Nichts, was man ändern könnte«, erklärte sie ruhig.
Sie respektierte ihre eigenen Grenzen und auch die seinen. Wenn sie anders gewesen wäre, würde er sich nichts aus ihr machen. Wenn er anders gewesen wäre, dann würde sie ihn nicht so lieben, wie sie das tat.
»Wie meinst du das?«
»Es gibt nichts, was ich ändern würde, selbst wenn ich es könnte. Ich bin, wer ich bin und ... du bist Rio. Ich würde nicht ändern wollen, wer du bist, selbst wenn das bedeutete, dass ein Fluss für immer durch das Sonnental fließen würde.«
Als er ihr trauriges, ergebenes Lächeln sah, wurden die kleinen Linien zu beiden Seiten von Rios Mund zu tiefen, schmerzlichen Furchen. Er sah all das, was sie nicht gesagt hatte, in ihren wunderschönen Augen.
»Das habe ich nicht gewollt!« Sein Atem ging schneller, und mehr sagte er nicht. Seine Fingerspitze berührte einen Augenblick lang ihre Wange, dann ballte er die Hand zur Faust und trat einen Schritt zurück. »Ich fahre in die Stadt. Einiges von meiner Ausrüstung ist angekommen. Warte mit dem Essen nicht auf mich. Ich nehme mir ein Zimmer und bleibe ein paar Tage, bis ich alles habe, was ich brauche.«
Sie antwortete nicht, bewegte sich nicht, reagierte überhaupt nicht.
»Hope, hast du mir zugehört?«
Sie nickte. Sie hörte ihm zu, hörte all das, was er nicht sagte, den Schmerz und den Zorn und die Frustration, so gnadenlos wie der Wind. »Ja. Ich hörte dir zu.«
Der Wind umwehte sie, strich mit einem leisen Seufzer über das Land, der ihr so vertraut war, dass sie ihn nicht einmal mehr hörte. Der gleiche Wind umwehte Rio, presste das Hemd gegen seine Brust, fuhr durch sein Haar wie die
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