Geheimnis des Verlangens
ihn sehen konnte. Dann Schloss er sie wieder, ganz vorsichtig, mit Rücksicht auf seinen Kopf.
Langsam zog und zupfte Tanya ihr Kleid wieder zurecht, ohne zu ahnen, was jetzt auf sie zukommen würde. Der
Störenfried auf der anderen Seite der Tür hatte ihnen zum Schluß, als Leckerbissen sozusagen, noch zugerufen, dass das Schiff vor einer Stunden angelegt hatte. Jetzt konnte sie mit einiger Mühe Stefans Schatten erkennen, während er sich anschickte, eine Lampe anzuzünden. Sie wünschte, er würde es nicht tun. Sie wünschte, er würde wieder ins Bett kommen, aber sie wusste , dass das ganz unmöglich war, jetzt, wo jeder offensichtlich darauf wartete, dass sie aus der Kabine herauskämen.
Aber als helles Licht sie umgab, hatte Tanya noch einen weiteren Wunsch, nämlich dass es auf der Stelle wieder erlöschen würde. Aber das tat es nicht. Stefan stand neben dem Bett und starrte mit dem unergründlichsten Ausdruck, den sie je an ihm gesehen hatte, auf sie hinunter. Und all ihre Fragen und Zweifel waren sofort wieder zur Stelle.
Hatte er das, was mit ihnen geschehen war, absichtlich begonnen, oder hatte er anfangs wirklich noch geschlafen? Hatte die wachsende Leidenschaft ihn ebenso gefangengenommen wie sie selbst? Ob er sich wohl, was sie betraf, dieselben Fragen stellte? Und erst gestern abend hatte er ihr sein edelmütiges, arrogantes Angebot unterbreitet, sie zu lieben, weil sie es brauchte ... O Gott, das konnte doch jetzt nicht eine Fortsetzung dieses Angebotes gewesen sein, oder? Und warum sagte er nichts? Warum starrte er sie einfach nur an, als ob solche oder noch schlimmere Fragen ihm durch den Sinn gingen. Schlimmere, nahm sie an, weil sich seine Züge plötzlich verhärteten. Zu welchem Ergebnis er auch gekommen war — es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Tanya machte sich auf einiges gefaßt, aber dann trafen seine Worte sie dennoch völlig unerwartet. »Euch ist es wirklich egal, mit wem Ihr Euer Bett teilt, nicht wahr?«
Sie hätte ihn geschlagen, wenn er nur nahe genug gewesen wäre. Sie musste sich aufrichten, um sich herumdrehen und ihm den Rücken zuwenden zu können, weil die Erwiderung, die er verdient hätte — »So muss es wohl sein« —, ihr nicht über die Lippen wollte. Ein Kloß im Hals hinderte sie daran, überhaupt etwas zu sagen.
Ihr wortloser Rückzug schien ihn jedoch überrascht zu haben, denn er fügte hinzu: »Es tut mir leid — das war unnötig. Aber ich weiß, dass Ihr mich haßt. Was soll ich also davon halten?«
Ja, tatsächlich, was? Aber so hätte er es nicht unbedingt ausdrücken müssen, nicht wahr? Außerdem schien es jedesmal dasselbe zu sein: Je näher sie sich kamen, um so beleidigender waren seine Bemerkungen hinterher. Sie hätte also etwas in dieser Art erwarten müssen, aber das hatte sie nicht.
Und was sollte sie ihjn sagen? Sie war wirklich so maßlos wütend auf ihn gewesen, weil er ihr die Taverne weggenommen hatte, dass sie ihn tatsächlich erschossen hätte, wenn sie irgendwie an ein Gewehr herangekommen wäre. Aber der Zorn war versiegt, war der Verzweiflung gewichen, als sie begonnen hatte, über ihre Zukunft nachzudenken. Letzte Nacht jedoch war ihr Ärger wieder zurückgekehrt und mit ihm der Wunsch, es Stefan ein kleines bißchen heimzuzahlen. Seine Vorstellung, dass sie ihn haßte, war also ganz verständlich. Sie entsprach nur nicht der Wahrheit. Obwohl sie ihn eigentlich hassen sollte, tat sie es nicht, ein Umstand, der ihr völlig unverständlich war.
Also noch einmal: Was sollte sie ihm sagen, um ihr leidenschaftliches Verhalten zu erklären? Dass sie sich so sehr zu ihm hingezogen fühlte, dass sonst nichts mehr eine Rolle spielte? Das würde er ebensowenig glauben wie sie selbst. Sie traute ihm nicht, glaubte ihm nicht einmal die Hälfte von dem, was er ihr erzählte. Es gefiel ihr nicht, dass er sie so verunsichern konnte. Sein Verhalten ihr gegenüber fiel von einem Extrem ins andere und brachte sie damit völlig aus dem Gleichgewicht, etwas, das ihr ebenfalls nicht gefiel. Und seine Beleidigungen haßte sie wirklich. All diese negativen Reaktionen konnte sie schwerlich vor ihm verbergen, es sei denn, sie war gerade von dem Wunsch beherrscht, ihn zu lieben. Aber was war denn der Grund dafür, dass sie sich trotz alledem zu ihm hingezogen fühlte?
Gott im Himmel, vielleicht war sie genauso schlecht, wie er dachte. Vielleicht gefielen ihr die Dinge, die er ihr zeigte, so sehr, dass sie den Rest durchaus übersehen konnte. Und
Weitere Kostenlose Bücher