Geheimnis um eine giftige Feder
ungeduldig. „Das Haus ist leer. Jetzt brauchen wir auf niemand mehr Rücksicht zu nehmen.”
Inmitten des Höllenlärms, den die Kinder machten, war es Flipp plötzlich, als hörte er ein Klingeln. Er schob Dicki, der auf ihm hockte, von sich herunter. „Horcht mal! Läutet nicht das Telefon?”
Die Kinder horchten. Wirklich, die Telefonglocke schrillte laut und anhaltend.
„Ich werde hingehen”, erbot sich Dicki, der wußte, daß Flipp nicht gern telefonierte. „Vielleicht läßt der Schlächter sagen, daß Frau Schlimms Nieren unterwegs sind.”
Er lief die Treppe hinunter, hob den Hörer ab und rief „Hallo?”
„Hallo!” antwortete eine Frauenstimme. „Kann ich bitte Frau Hillmann sprechen?”
„Frau Hillmann ist ausgegangen.”
„Dann möchte ich mit Frau Schlimm sprechen. Hier ist Frau Kräusel.”
„Guten Tag, Frau Kräusel! Hier ist Dietrich Kronstein. Frau Schlimm ist vor ein paar Minuten fortgegangen, um – ihre Nieren zu holen. Soll ich ihr etwas bestellen?”
„Ach ja! Sage ihr bitte, daß ich heute nicht kommen kann. Ich muß mich um meine Schwester kümmern. Sie hat einen von diesen Briefen bekommen.”
Dicki spitzte die Ohren. Einen von diesen Briefen! Damit konnte nur ein anonymer Brief gemeint sein. „Das tut mir außerordentlich leid”, sagte er im Tonfall eines Erwachsenen. „Diese anonymen Briefe sind eine wahre Plage.”
„Ach, du hast schon davon gehört? Ja, sie sind häßlich und gemein. Nun hat meine arme unschuldige Schwester auch solch einen Brief bekommen. Frau Schlimm wird es gewiß verstehen, daß ich bei ihr bleiben muß. Nicht, daß sie viel für meine arme Schwester übrig hätte – die beiden haben sich nie so recht vertragen –, aber sie weiß, wie weh es tut, einen anonymen Brief zu kriegen. Es ist ja …”
„Ja, es ist schrecklich”, unterbrach sie Dicki, den ihr pausenloser Redestrom zu betäuben drohte. „Ob Ihre Schwester mir den Brief wohl einmal zeigen würde, Frau Kräusel? Der Fall interessiert mich sehr. Ich verstehe mich darauf, Geheimnisse aufzuklären, wie Sie vielleicht schon gehört haben.”
„Gewiß habe ich davon gehört. Du hast ja auch herausgefunden, wer die Katze von Frau Kendling gestohlen hatte. Komm nur zu meiner Schwester; sie wird dir den Brief schon zeigen. Sie wohnt Weidenweg 9. Sag Frau Schlimm bitte, daß ich am Donnerstag zu Hillmanns komme.”
Dicki legte den Hörer hin, rannte nach oben und riß die Tür zum Spielzimmer auf. „Denkt nur, Kinder! Es ist wieder ein anonymer Brief eingetroffen – diesmal bei Frau Kräusels Schwester. Frau Kräusel ist zu ihr gegangen, um sie zu trösten. Ich werde mir den Brief mal ansehen und feststellen, wo und wann er abgestempelt ist.”
Die Kinder sprachen aufgeregt durcheinander. „Ich werde mitkommen”, sagte Flipp.
Aber das wollte Dicki nicht. „Es ist besser, wenn nur einer geht. Sage Frau Schlimm, daß Frau Kräusel angerufen hat und daß sie heute nicht kommen kann, weil sie ihre Schwester trösten muß, die einen von diesen Briefen bekommen hat. Verrate aber auf keinen Fall, daß du mehr von der Sache weißt.”
„Geht in Ordnung! Beeil dich nur, Dicki, sonst kommt Wegda dir noch zuvor. Sobald er von dem Brief erfährt, wird er ebenfalls zu Frau Kräusels Schwester rennen.”
Dicki lief zur Weidengasse, fand Nr. 9 und klopfte an die Tür des vernachlässigten kleinen Hauses.
Frau Kräusel öffnete ihm. „Ach, du bist es, Dietrich! Meine Schwester will dir den Brief nicht zeigen. Sie sagt, was darin steht, darf außer mir nur die Polizei lesen.”
Dicki war bitter enttäuscht. „Ach, ich möchte ja nur einen flüchtigen Blick auf den Brief werfen. Die anderen Briefe habe ich auch gesehen.”
Frau Kräusels Schwester, eine dicke schmuddlige Frau, atmete hörbar durch den Mund. „Das ist nichts für Kinder”, näselte sie. „In dem Brief stehen ganz gemeine Beschuldigungen. Nicht ein Wort davon ist wahr.”
„Ich bin doch kein Kind mehr!” Dicki reckte sich zu seiner vollen Höhe auf. „Sie können mir den Brief ruhig zeigen. Ich werde niemand etwas von dem Inhalt verraten. Ich bin mit der Untersuchung dieses Falles beschäftigt.”
Dickis Worte machten sichtlich Eindruck auf Frau Kräusel. Aber auch sie war der Meinung, daß er den Brief nicht lesen dürfte.
Dicki interessierte sich gar nicht dafür, was darin stand, sondern er wollte nur die Schrift sehen. „Zeigen Sie mir wenigstens den Umschlag”, bat er.
Weder Frau Kräusel noch Frau
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