Geheimnis Um Mitternacht
„Ich glaube kaum, dass es das Richtige für dich wäre. Du musst jetzt sehr vorsichtig sein. Du weißt, wie sehr dir vor wenigen Minuten noch der Rücken geschmerzt hat. Ich fürchte, eine Fährt im Wagen wäre überhaupt nicht gut für dich." Sie warf ihr einen vielsagenden Blick zu und wandte sich an Lady Claire. „Stimmst du mir da nicht zu, Mutter?"
„Oh, ja. Lady Maura und mir wird es hier sehr gut gehen", bekräftigte Claire und tätschelte Mauras Arm. „Ist es nicht so, Liebes?"
Als sie das Haus verließen, machte Francesca keine Bemerkung über Irenes unverkennbares Bedürfnis, ihrer Schwägerin zu entkommen. Stattdessen sprach sie über das Wetter, ihren offenen Brougham - „so unmodern heute, es ist schon zehn Jahre her, dass Lord Haughston ihn mir geschenkt hat, aber es war sein erstes Geschenk, und ich könnte mich niemals davon trennen" - und den Ball im Haus der Spences' am Abend zuvor.
Sobald sie Platz genommen hatten, fuhr der Kutscher los, und sie rollten die Straße hinunter in Richtung Hyde Park. Für einen Augenblick schwiegen sie und genossen den sanften goldenen Sonnenschein und die klare Luft des Herbsttages. Irene wandte den Kopf, um ihre Begleiterin anzusehen.
Francesca erwiderte ihren Blick, und das charakteristische Grübchen zeigte sich in ihrer Wange, als sie lächelte.
„Ich könnte schwören, beinahe die Rädchen zu hören, die sich in Ihrem Kopf drehen", sagte sie leichthin. „Machen Sie schon. Warum wollen Sie jetzt anfangen, Zurückhaltung zu üben."
Irene konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen. „Sie überraschen mich, Lady Haughston."
„Bitte, nennen Sie mich Francesca. Wir kennen uns seit Ihrem Debüt. Denken Sie nicht, dass es an der Zeit ist, uns beim Vornamen zu nennen?"
„Warum?", erwiderte Irene. „Werden wir jetzt Busenfreundinnen werden?"
Ihre unverblümten Worte schienen Lady Haughston nicht zu beirren, denn ihr Lächeln wurde nur noch breiter.
„Nun, was das betrifft, bin ich mir noch nicht sicher. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn wir beide uns bald besser kennenlernen würden."
„Und wieso? Ich will mich nicht beklagen, denn ich bin Ihnen unendlich dankbar, dass Sie mich an diesem Nachmittag zu einer Ausfahrt eingeladen haben. Aber ich muss zugeben, dass mir nicht ganz klar ist, wie ich mir Ihr plötzliches Interesse erklären soll."
„Ich könnte als Erklärung vorbringen, dass ich Ihre Offenheit gestern Abend erfrischend fand - was übrigens stimmt - und mir deshalb vorgestellt habe, ich könnte den Nachmittag mit Ihrer Anwesenheit unterhaltsamer gestalten."
„Und was würden Sie sagen, wenn Sie mir den wahren Grund nennen müssten, warum ich jetzt in Ihrer Kutsche sitze? Hat Lady Wyngate Sie angesprochen? Hat sie Sie gebeten mir zu helfen, einen Ehemann zu finden?" Rote Flecken der Wut und der Verlegenheit erschienen auf Irenes Wangen.
Überrascht wandte Francesca sich ihr zu. „Lady Wyngate?
Ihre Mutter? Warum sollte sie ... Nein, nein, sie hat niemals so etwas zu mir gesagt."
„Nicht meine Mutter. Lady Maura, Humphreys Ehefrau. Hat sie nicht mit Ihnen über mich geredet?"
„Nein. Ich versichere Ihnen, ich kenne Lady Wyngate kaum. Warum sollte sie denn so etwas zu mir sagen?"
„Weil sie mich verheiratet und aus dem Haus haben will", erwiderte Irene mit einiger Bitterkeit. „Es tut mir leid.
Sie müssen mich für sehr töricht halten. Ich weiß, dass Sie nicht mit Maura befreundet sind. Es ist nur so, dass sie mich gerade vor ein paar Tagen mit meinem Status als alte Jungfer geärgert hat und mich drängte, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagte, dass jedes Mädchen, das Sie unter Ihre Fittiche genommen haben, gut geheiratet hat. Sie denkt, Sie haben ein goldenes Händchen. Ich hatte Angst..."
„Ich hätte niemals mit Ihrer Schwägerin über Sie gesprochen", sagte Francesca sanft.
Irene sah sie an und merkte, dass Francesca aufrichtig gewesen war. „Es tut mir leid", sagte sie schnell. „Ich hätte nicht annehmen sollen, dass Sie bei einem von Mauras Plänen mitmachen würden. Es war nur so seltsam, weil Maura mir kurz vorher gesagt hatte, ich solle Sie um Hilfe bitten."
Francesca nickte. „Ich verstehe."
Irene sah das Mitgefühl im Gesicht der anderen Frau, und ihr wurde bewusst, dass Francesca mehr verstand, als sie gesagt hatte. „Ich bin mir sicher, dass es nicht leicht für Sie ist, mit Ihrer Schwägerin zusammenzuleben", meinte die ältere Frau vorsichtig.
„Ich hasse es", gab Irene offen zu.
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