GEHEIMNISSE DER NACHT
felsigen Klippen, die bis in den Ozean hinabreichten. Er mochte das Meer hier oben. Es roch gut. Salzig und frisch, und die Meeresbrise war auch nicht so kalt, wie er es erwartet hatte. Sie schien mit den Wellen an Land zu rollen.
„Ich hatte einen Verdacht“, gab er schließlich zu. „Wegen Maxine wenigstens. Deshalb habe ich euch einander vorgestellt. Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass sie sich so in diese Vampirtheorie verbeißt. Das sollte nur ein Vorwand sein, um euch zwei zusammenzubringen, damit ihr sehen könnt, was für mich so offensichtlich war.“
„Und Morgan?“, fragte sie.
„Ich hatte keine Ahnung, Lydia, das schwöre ich.“
Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. „Du hättest es mir sagen sollen. Das mit Maxine, meine ich.“
„Ich dachte, das ist etwas, was ihr zwei zusammen ausmachen solltet.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern. „Es tut mir leid, wenn ich falschlag, Kleines. Du weißt, ich will nur dein Bestes.“
„Das weiß ich.“
„Wirst du es ihnen sagen?“
Sie seufzte. „Ich weiß nicht. Ich muss nachdenken.“
Sie waren gerade umgekehrt, als Maxine nach Lou rief. Lydia packte Lous Arm. „Kann er zurückgekommen sein?“
„Komm“, beschwichtigte Lou sie, nahm ihren Arm und rannte gemeinsam mit ihr über den breiten Rasen zurück zum Haus. „Wir haben das Haus nicht aus den Augen gelassen“, murmelte er. „Er könnte durch eine andere Tür gekommen sein, nehme ich an, aber …“
Sie erreichten das Haus und stürzten hinein. Dort fanden sie Morgan ohnmächtig auf dem Boden und Maxine neben ihr kniend, die ihren Kopf festhielt und zu Tode erschreckt aussah.
„Jesus, was ist passiert?“
„Sie ist einfach zusammengebrochen!“
Lydia rannte zu ihr, kniete sich neben Maxine und berührte Morgans Gesicht. „Sie ist so kalt.“
„Ich glaube, sie ist krank. Lou, kannst du sie in ihr Bett tragen? Ich versuche, die Telefonnummer von einem Arzt zu finden oder so.“
Lou nickte und bückte sich, um Morgan hochzuheben. Sie wog kaum mehr als ein Lufthauch. Dann trug er sie die Treppe hinauf und machte sich auf die Suche nach dem richtigen Schlafzimmer.
Maxine saß neben dem Bett und starrte Morgan an. Es war zwei Uhr morgens. Lou schlief schon lange in einem der Gästezimmer, Lydia in einem anderen. In diesem Haus gab es ein halbes Dutzend Gästezimmer, alle vollständig eingerichtet, die aber anscheinend nur wenig benutzt wurden. Eine dünne Lage Staub in allen Schlafzimmern verriet Maxine, dass ihre merkwürdige Zwillingsschwester nicht viel Besuch bekam.
Sie hatte selbst nicht schlafen können. Also war sie hierhergekommen, und jetzt saß sie da und betrachtete diese Frau, die wie eine Tote schlief. In ihr riesiges Himmelbett mit weißen Spitzenbezügen über Bergen von Decken und dicken Kissen hätten gut und gerne vier Menschen gepasst und es wäre noch Platz übrig.
Das Haus war wunderschön. Riesig und wunderschön. Allein das angrenzende Badezimmer war größer als Maxines gesamtes Wohnzimmer. Verdammt, sogar der begehbare Kleiderschrank war größer. Und diese Kleider!
Vor lauter Kälte musste sie sich die Arme reiben. Als sie in das Zimmer gekommen war, hatten die Terrassentüren mit den cremeweißen, durchsichtigen Vorhängen offen gestanden und die kühle Herbstbrise hereingelassen. Maxine hatte sie geschlossen. Aber es war immer noch zu kalt im Zimmer.
Aber natürlich versuchte sie sich mit all diesen Gedanken nur von dem eigentlichen Grund ihres Hierseins abzulenken. Oh, sie erzählte sich selbst tausend Lügen. Sie wollte sich nur daran gewöhnen, ein Gesicht zu sehen, das dem ihren so ähnlich war. Sie wollte in der Nähe sein, falls Morgan aufwachte, um ihr zu erklären, warum sie immer noch da waren, Eindringlinge in ihrem Haus. Sie machte sich Sorgen, dass der Zustand der offensichtlich kranken Frau sich bis zum Morgen verschlechterte.
Nichts davon war der wahre Grund.
Sie wollte unter den Rollkragen sehen.
Maxine leckte sich nervös die Lippen und beugte sich vor. Morgan lag auf dem Rücken, still wie ein Stein, ihr Gesicht erschreckend weiß in der Dunkelheit, ihr Haar über die Kissen um sie herum ausgebreitet. Die schlafende Schönheit. Maxine streckte die Hand aus und hielt kurz vor Morgans Hals inne. Dann näherte sie sich langsam, bis ihre Fingerspitzen den schwarzen Stoff berührten.
Vorsichtig , sagte sie sich selbst, berühr ihre Haut nicht, sonst wacht sie auf. Vorsichtig …
Sie nahm den Rand des Kragens fest
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