Geheimnisvoll Vertrauter Fremder - Historical Bd 274
über die sie gekommen waren, und als sie innehielt, um zurückzublicken, wurde ihr bewusst, dass sich nur einige wenige kleine Fenster an der Rückseite des Hauses befanden. Sobald sie die Stelle passiert hatte, wo der Fels schräg hervorstand, würde es unmöglich sein, sie von dort aus zu beobachten. Vielleicht hielt man den Pfad für zu schmal und zu mühsam, um für einen möglichen Überraschungsangriff infrage zu kommen. Es war wahrhaftig kein Leichtes für Kathryn, den Weg zu bewältigen. Einige kleine Felsbrocken saßen locker, und zweimal löste sie einen kleinen Steinschlag aus. Auf diese Weise kam sie nur langsam voran, und ihre schweren Röcke machten es nicht leicht für sie, ihr Gleichgewicht zu halten. Hätte sie eine Wahl gehabt, so hätte sie sich nie einen Pfad wie diesen hinuntergewagt. Aber sie stählte ihre Nerven im Bewusstsein dessen, dass es ihre einzige Chance war. Der alte Mann hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie am unteren Ende finden würde, wonach sie suchte. Also musste dort jemand auf sie warten.
Als sich der nächste gefährlich aussehende Felsvorsprung vor ihr auftat, hielt sie inne. Der Pfad war hier so schmal, dass sie nicht wusste, ob sie es wagen sollte, auf ihm weiterzugehen. Wenn sie stolperte, würde sie den Berghang hinunterstürzen, und das hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Als sie einen tiefen Atemzug nahm, hörte sie ein Geräusch, als wäre ein loser Stein ins Tal hinuntergerutscht, und danach einen erstickten Fluch. Während sie noch die Luft anhielt, kletterte ein Mann den Pfad hinauf und machte ihr ein Zeichen.
„Kommt, Kathryn“, befahl er. „Nehmt meine Hand, ich werde Euch helfen.“
„Lorenzo …“, flüsterte sie. Ihr Herz tat einen Satz, dennoch ging sie auf ihn zu, ohne wirklich erstaunt zu sein, dass er hier war. Seit die alte Frau sie in den Garten geführt hatte, glaubte sie, dass nur ein einziger Mensch ihre Flucht arrangiert haben konnte.
Er runzelte die Stirn, als sie auf ihn zutrat. Missbilligend schaute er an ihr herunter. „Was ist denn?“, fragte sie.
„Zieht die weiten Röcke aus. In diesem Aufzug wird es Euch auf keinen Fall gelingen, den Pfad zu bewältigen, Kathryn.“
Sie zögerte nicht und knüpfte die Bänder auf, mit denen der Überrock befestigt war. Anschließend ließ sie ihn auf den Boden fallen. Sie fühlte sich erleichtert, als sie jetzt nur noch die engeren und weniger schweren Unterröcke trug. Voller Vertrauen nahm sie nun die Hand, die er ihr entgegenstreckte. Seine Finger schlossen sich fest um die ihrigen, und er schenkte ihr ein Lächeln, das ihre Zuversicht bestärkte.
„Ihr seid ungewöhnlich mutig“, sagte er. „Das nächste Stück wird etwas schwierig, aber ich werde Euch helfen. Ihr könnt auf mich zählen.“
„Danke.“ Sie nickte ihm tapfer zu, wobei sie überzeugt davon war, dass er sie niemals loslassen würde.
Er lächelte, ohne etwas zu sagen, und als sie in die Tiefe blickte, sah sie, dass der braungraue Fels alarmierend weit über einen steilen Abhang herausragte. Der Pfad, der um all das herumführte, konnte kaum als ein solcher bezeichnet werden. Er war nichts weiter als ein schmaler Vorsprung, dadurch entstanden, dass irgendwann Gesteinsbrocken abgerutscht sein mussten. Es erschien immer weniger überraschend, dass der Don es nicht für nötig gehalten hatte, diese Bergregion zu bewachen. Ein Trupp bewaffneter Männer hätte diesen Vorsprung nicht passieren können.
Alleine wäre es ihr niemals gelungen, dieses felsige Gelände hinabzusteigen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie einen Fuß vorsichtig auf den schmalen Vorsprung setzte. Nur der feste Griff, mit dem Lorenzo ihren Arm hielt, beruhigte sie etwas. Sie standen mit dem Rücken zum Felsen. Der Stein stach Kathryn in den Rücken und schürfte ihre Haut auf, als sie sich dagegendrückte und einen winzigen Schritt vor den nächsten setzte. Sie bewegte sich Zentimeter um Zentimeter seitwärts und wagte nicht, nach unten zu blicken. Lediglich der zuversichtliche Druck von Lorenzos Hand hielt sie davon ab hinunterzufallen, als sie die Augen schloss, um einen plötzlich auftretenden Schwindel zu besiegen, der sie einen Augenblick lang glauben ließ, nicht mehr weitergehen zu können.
„Es ist bald vorbei“, ermutigte Lorenzo sie. „Wir haben es beinahe geschafft, Kathryn.“
Sie war nicht in der Lage, ihm zu antworten – die Angst schien sie zu überwältigen. Tief und langsam atmete sie ein. Ihre Nerven waren zum
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