Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
Weise hatten wir so auf eine verrückte Art schon wieder eine funktionierende Mutter-Tochter-Beziehung.
Wir saßen zu dritt am Wohnzimmertisch und tranken Tee. Um nicht gleich mit dem heiklen Thema Hochzeit anzufangen, führten wir das übliche Schwangerschaftsgespräch. Wie lange noch, ist es anstrengend, wie läuft’s bisher, Junge, Mädchen, Bla und Sülz, aber meine Mutter hütete sich davor, mir wohlmeinende Ratschläge zu geben. Tim und ich hatten beide recht behalten. Sie freute sich zwar über das Kind, aber die Vorstellung, als Oma zu heiraten, war ihr nicht geheuer, während Chris über seinen zukünftigen Großvaterstatus einen Scherz nach dem anderen riss. Er lieferte wieder einmal eine Paradevorstellung seines mangelnden Taktgefühls ab und überhörte jegliche meiner Andeutungen, kurz allein mit meiner Mutter sprechen zu wollen. Endlich klingelte das Telefon, und Chris zog sich für ein lautes Gespräch in sein Zimmer zurück. Ich nutzte die Gelegenheit und kam gleich zum Punkt: »Und du willst diesen Kerl ernsthaft heiraten, Mama?«
»Karina, wenn du nur hierhergekommen bist, um mir die Hochzeit auszureden, kannst du gleich wieder gehen. Es ist alles vorbereitet, und ich lasse mir meine Freude von dir nicht verderben.«
Innerhalb von Sekunden standen die Zeichen auf Sturm. So schnell konnte das zwischen uns gehen. Entweder wir tauschten höfliche Nichtigkeiten aus, oder es ging richtig zur Sache. Dazwischen kannten wir nichts. Mir war der offene Schlagabtausch lieber.
»Du bist ja nun wirklich alt genug, Mama. Meinetwegen kannst du machen, was du willst, und heiraten, wen du willst. Aber ich würde es wirklich gerne verstehen.«
»Liebe kann man nun mal nicht immer verstehen, Karina.«
Mit dem Spruch hatte sie mir schon damals den plötzlichen Gesinnungswandel meines Vaters von Hetero zu Homo verkauft, aber inzwischen war ich doppelt so alt und ließ mich nicht mehr mit pseudophilosophischen Zitaten abservieren.
»Doch, kann man. Zumindest einen Teil davon. Aber Chris und du, ihr seid wie zwei gegensätzlich gepolte Magnete. Ihr müsstet euch doch eigentlich total abstoßen.«
Mit Physik konnte man meiner Mutter immer kommen. Zitate von Shakespeare oder Goethe waren bei ihr fehl am Platz, abgesehen davon, dass ich die auch gerade nicht parat hatte, aber physikalische Metaphern benutzte sie selbst liebend gerne.
»Gegensätzlich gepolte Enden ziehen sich in der Regel an, Karina, und vielleicht mag ich ihn ja genau deswegen.«
Eigentor! Na super.
»Dann ist er von euch beiden aber eindeutig der Minuspol. Ich meine, er hängt doch die ganze Zeit nur faul rum. Hast du dir schon mal überlegt, dass er dich vielleicht nur wegen deines Geldes heiratet, damit er sich weiter schön vergnügen kann?«
Das ging unter die Gürtellinie, war aber mein bestes Argument. Ich wollte wirklich nicht, dass meine Mutter sich einen jungen Schmarotzer ins Haus holte, der sie nach Strich und Faden hintergehen würde.
»Chris hat selbst auf einem Ehevertrag bestanden, und außerdem macht er gerade ein Praktikum bei einer Teenie-Zeitschrift, in der Sportredaktion.«
Damit war auch mein letzter Joker ausgespielt. Granit traf auf Granit, keiner von uns wollte auch nur einen Millimeter von seiner Position abrücken. Wir schlürften beide stumm unseren Tee, bis meine Mutter enttäuscht, aber bestimmt das aussprach, was schon die ganze Zeit über in der Luft hing: »Das führt doch zu nichts, Karina. Ich weiß nicht, was du gegen Chris hast, aber wenn du deine Abneigung nicht überwinden kannst, brauchst du auch nicht zu unserer Hochzeit zu kommen. Damit wäre uns wahrscheinlich allen geholfen. Ich werde es dir auch nicht übelnehmen. Wäre ja nicht die erste Krise, die wir überstanden haben, oder?«
Sie sah mich aufmunternd an, aber ihr Blick verriet ihre Enttäuschung. Natürlich war es nicht das erste Mal, dass ich ihre Erwartungen nicht erfüllen würde, trotzdem tat sie mir leid. Ganz offensichtlich bedeutete ihr die Hochzeit viel, und ich war schließlich kein Teenager mehr, der zu allem per se nein sagen musste. Ich versuchte es ein letztes Mal: »Mama, wenn du mir nur einen Grund nennen könntest, warum du Chris liebst, dann könnte ich es vielleicht verstehen.«
Meine Mutter antwortete, ohne lange nachzudenken. »Er macht mich glücklich, und er liebt es, mich glücklich zu sehen. Er meint es wirklich ehrlich mit mir, Karina, ich kenne keinen ehrlicheren Menschen als Chris. Was kann ich denn noch mehr von
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